ABSTRACT
Von unserer Arbeitsgruppe wurden verschiedene Imaginalscheiben von Drosophila im Abdomen weiblicher Fliegen kultiviert (siehe Arbeiten von Hadorn und Mitarbeitern). Die Hamolymphe des Adultwirtes dient als Kultur-medium, in welchem die Blasteme proliferieren, wobei sie jedoch ihren larvalen Dificrenzierungszustand beibehalten. Die Adultdifferenzierung kann durch Rücktransplantation der Blasteme in eine Wirtslarve, mit der das Implantät die Metamorphose durchläuft, vollendet werden. Die imaginalen Strukturen des Integumentes können anschlieβend aus dem Abdomen des metamorpho-sierten Wirtes herausprapariert und untersucht werden.
Die Imaginalscheiben der verpuppungsreifen Larve, die als Ausgangsmaterial fur unsere Kulturen dienen, stellen Mosaike von Organanlagen dar, in denen die Zellcn mindestens arealspezifisch determiniert sind. Wahrend der Proliferation im Adultwirt entstehen Mehrfachbildungen der kultivierten Primordien. Es werden aber nicht nur zusätzliche Organe gebildet, die der prospektiven Bedeu-tung der betreffenden Scheibe entsprechen (autotypische Differenzierungen), sonder" auch Organe, die normalerweise aus anderen Imaginalscheiben hervor-gehen und deshalb als allotypisch bezeichnet werden (Hadorn, 1965a). Der ProzeB, der zur Bildung allotypischer Elemente fiihrt, wird als Transdetermina-tion interpretiert (Hadorn, 1965b, 1966). In Klonen genetisch markierter Zellen zeigte sich, daB die allotypischen Zellen aus autotypisch determinierten Zellen durch eine qualitative Determinations-Änderung hervorgehen (Gehring, 1967). Nach Tobler (1966) und Wildermuth (1968) sind Zellteilungen eine notwendige Voraussetzung fur Transdeterminationen.
Das Inventar an allotypischen Organen, die nach Dauerkultur in den bisher untersuchten Scheiben festgestellt wurde, umfaβt alle Korperregionen des imaginalen Integumentes auβer dem dorsalen Metathorax und den vorderen Abdominalsegmenten. Der dorsale Metathorax mit dem Metathorakal-Stigma und den Halteren entsteht aus den paarigen Halterenscheiben (Zalokar, 1943; Loosli, 1959). In der vorliegenden Arbeit berichten wir nun über die Differen-zierungsleistungen von kultivierten Blastemen der Halterenscheibe. Es war vor allem festzustellen, ob sie sich grundsätzlich anders verhalten als die Primordien der übrigen Scheiben.
MATERIAL UND METHODE
Da Vorversuche gezeigt hatten, daß halbierte Halterenscheiben im Adultwirt nur wenig proliferieren, verwendeten wir Kombinate aus vier Halterenscheiben als Ausgangsmaterial für unsere Kulturen. Diese Viererkombinate werden nach der Methode Nôthiger (1964) durch mechanisches Durchmischen der Scheiben mit zwei feinen Wolframnadeln hergestellt, wobei die Peripodialmembran, welche die Scheibe umgibt, aufgerissen wird. Solche Kombinate proliferieren starker als intakte Scheiben (Gehring, 1966; Tobler, 1966).
In einer ersten Versuchsanordnung wurden die Kombinate für 22d in einen ersten Adultwirt implantiert und anschlieβend für 14, resp. 20d in neue Adult-wirte (2. Transfergeneration) übertragen. Nach dieser Proliferationsphase, in der die Zellen ihren larvalen Differenzierungszustand beibehalten, wurden die Kombinate in larvale Wirte rücktransplantiert, mit denen sie die Metamorphose durchlaufen konnten. In diesen kurzfristigen Kulturen, wie auch in den Dauer-kulturen (s.u.), wurden diejenigen Kombinate, die stark proliferiert hatten, in mehrere Fragmente aufgeteilt, die wir getrennt in verschiedene Adult resp. Larvalwirte implantierten.
Auβer den kurzfristigen Kulturen wurden, ausgehend von Kombinaten, auch Dauerkulturen nach der von Hadorn (1963) entwickelten Technik angesetzt. Dabei wird stets ein Teil des Blastemmaterials, das im Adultwirt während 2-4 Wochen herangewachsen ist, in neue Adultwirte transferiert, während der Rest des Materials durch Rucktransplantation in Larvalwirte auf seine Differen-zierungsleistungen geprüft wird (Testimplantate). Dieses Vorgehen konnte in einer Kultur (H 51) über mehr als 32 Transfergenerationen (18 Monate) wiederholt werden (vergl. Abb. 4). Nach der 12. Transfergeneration war die Proliferation so stark, daB nur noch Stichproben der Kultur weitergeführt werden konnten.
Um Spender-und Wirtszellen eindeutig unterscheiden zu kônnen, wurden die Wirte mit den Genen ebony (e, 3-70,7) und multiple wing hairs (mwh, 3-28,8) markiert. Der Faktor e bewirkt eine dunkle Färbung aller Cuticularstrukturen und mwh modifiziert die als Trichome bezeichneten Zellhàrchen, wobei Einzel-harchen durch ein Büschel von Trichomen ersetzt werden (Di Pasquale, 1952; Peyer & Hadorn, 1965). Als Larvalwirte wurden Larven des frühen 3. Stadiums (70-80 h nach Eiablage), als Adultwirte 1-3 tägige Weibchen verwendet. Zur Herstellung der Kombinate dienten Halterenscheiben aus verpuppungsreifen Spe/wfer-Larven, die heterozygot für die drei rezessiven Markierungsgene yellow (y, 1-0,0), singed3(sn3,1-21,0) und mwh waren. Infolge somatischer Mutationen oder somatischem Crossing-over kônnen bei dieser Konstitution genetisch markierte Einzelzellen auft reten, deren Nachkommen ein Mosaikareal liefern. Anhand solcher Klone kann das ‘Cell Lineage’ und die Sequenz der Trans-determination analysiert werden (Gehring, 1967).
Die Fliegen wurden auf Standardfutter bei 25°C gehalten. Die Dauerkultur H51 wurde nach dem 26. Transfer auf 18° C iibertragen.
ERGEBNISSE
1 Das autotypische Differenzierungsinventar
In einem Kontrollexperiment wurden 15 Halterenscheiben aus verpuppungs-reifen y Larven in 70 h alte e mwh Larven implantiert und nach der Metamor-phose die gebildeten Strukturen untersucht. Dabei konnten wir die Befunde von Loosli (1959) uber die Differenzierungsleistungen der transplantierten Halteren-scheibe bestätigen. Ein charakteristisches Transplantät ist in Abb. 1 dargestellt.
Diflerenzierungen eines Kontroll-Implantates der Halterenscheibe. M = Metathorax mit Metathorakalborsten (MB) und Stigma (St). S - Scabellum mit Sensilla campaniformia (ScS) und Hicks’sche Papillen (HP). P — Pedicellus mit seinen Sensillen (ScP). C = Capitellum mit Borsten (CB). E = Endosklerite. AB = Adventivborsten.lm Implantät ist die Anordnung der Halterenglieder gestort. Vergr. l80x.
Diflerenzierungen eines Kontroll-Implantates der Halterenscheibe. M = Metathorax mit Metathorakalborsten (MB) und Stigma (St). S - Scabellum mit Sensilla campaniformia (ScS) und Hicks’sche Papillen (HP). P — Pedicellus mit seinen Sensillen (ScP). C = Capitellum mit Borsten (CB). E = Endosklerite. AB = Adventivborsten.lm Implantät ist die Anordnung der Halterenglieder gestort. Vergr. l80x.
Da der normale Ausstülpungsprozess in isolierten Imaginalscheiben unter-bleibt, sind die Strukturen invertiert. Die gebildeten Organteile umfassen die drci Halterenglieder, Teile des dorsalen Metathorax mit dem Metathorakal-Stigma sowie ein Areal mit sog. Adventivborsten (vergl. Loosli, 1959). Der Metathorax kann anhand des Metathorakal-Stigmas mit den Reusenhaaren, sowie auf Grund einer Gruppe von 3-4 Metathorakalborsten identifizïert werden. Das Basalglied der Haltere, das Scabellum, weist Liingsreihen von Sensilla campaniformia (Sinneskuppen) auf, die durch eine Reihe von Trichomen voneinander getrennt sind und in der Aufsicht kreisfôrmig erscheinen. Auβer-dem trägt es einzelne Sinneskuppen, sog. Hicks’sche Papillen. Der Pedicellus, das mittlere Glied, ist durch reihenfôrmig angeordnete ‘ovalen’ Sensilla cam-paniformia charakterisiert, die im Unterschied zu den Sensillen des Scabellums miteinander verwachsen sind. Es finden sich auch keine Trichome zwischen diesen Sensillenreihen. Das Endkópfchen, Capitellum, tràgt 15-20 schwach pigmentierte Borsten, die auf den anderen Gliedern fehlen. Die ganze Haltere ist dicht mit Trichomen besetzt. Auβer diesen Teilen wurde in allen Transplan-taten noch ein Areal gebildet, dessen Borsten und Trichome morphologisch denjenigen des ersten Abdominaltergiten entsprechen. Aus Exstirpations-versuchen schloB Loosli (1959) jedoch, daβ die Halterenscheibe in situ keine abdominalen Strukturen liefert und die Potenz zur Borstenbildung in diesem Areal erst im Transplantationsexperiment manifest wird. Er bezeichnete diese Borsten ais ‘Adventivborsten’. Auf diese Problematik soil hier nicht weiter eingegangen werden. Ausgehend von dem in Abb. 1 dargestellten normalen (autotypischen) Differenzierungsinventar sollen nun die Leistungsqualitaten nach verlangerter Proliferationsphase untersucht werden.
2 Differenzierungsleistungen nach verlangerter Proliferationsphase
(a) Kurzfristige Kulturen
In unseren kurzfristigen Kulturen wurden Kombinate von vier Haltercn-scheiben während 36 resp. 42 d in Adultwirten kultiviert, wo sie zum Teil auf ein Vielfaches ihrer GrôBe heranwachsen. Anschlieβend wurde das gesamte Zellmaterial, das während dieser verlängerten Wachstumsphase gebildet worden war, in Larvalwirte rücktransplantiert und zur Metamorphose gebracht. Von insgesamt 31 Kulturen lieferten 23 nur Strukturen, die zum normalen auto-typischen Differenzierungsinventar der Halterenscheibe gehôren. In 8 Kulturen jedoch traten zusätzlich zu den Elementen der Halterenscheibe auch allotypische Flügelstrukturen auf (Abb. 2). Es wurden Teile der Flügelspreite, der Costa und der Flügelbasis festgestellt. In einem Fall konnte nicht entschieden werden, ob es sich um Flügelspreite oder Maxillar-Palpus handelt, da keine Sensillen, sondern nur Trichome ausgebildet waren. Auch in vier Dauerkulturen (unten) traten als erste allotypische Elemente Strukturen auf, die in der Normalentwicklung aus der Flügelscheibe hervorgehen. Der haufigste initiale Transdeterminations-schritt fiihrt somit von Halteren zu Flügelzellen, wobei häufig tioch ein direkter Kontakt zwischen den beiden besteht (Abb. 2).
(b) Dauerkulttiren
Von den 21 angesetzten Dauerkulturen gingen die meisten infolge der geringen Proliferationsrate schon in den ersten Transfergenerationen verloren. Eine Dauerkultur lieferte jedoch schon nach dem ersten Transfer allotypische Flügelstrukturen, und in zwei weiteren Kulturen traten die Flügelstrukturen in der 3. Transfergeneration auf. Einzig die Kultur H 51 konnte über eine grofiere Zeitspanne weitergefiihrt werden und befindet sich jetzt in der 36. Transfer-generation. Eine Übersicht über die in den Testimplantaten gefundenen Struk-turen und ihre prozentuale Hàufigkeit gibt die Abb. 3. Während den ersten 8 Transfergenerationen proliferierte die Kultur relativ wenig, so dafi nur 1 bis 2 Testimplantate pro Generation abgezweigt werden konnten. In dieser Anfangs-phase werden vor allem autotypische Halterenteile gebildet. In der 5. Genera-tion treten jedoch als erste allotypische Elemente wiederum Hwge/strukturen auf. In der 9. Generation beginnt die Kultur stark zu proliferieren (Abb. 4), und gleichzeitig treten verschiedene allotypische Elemente auf: TTioraxstrukturen, die in der Normalentwicklung ebenfalls aus der Flügelscheibe entstehen, Antennen- und Pu//>u5teile (Palpus bereits in der 8. Generation), sowie Teile der Æbp/kapsel, die in situ aus der Augen-Antennenscheibe hervorgehen. In der 10. Generation lieβen sich erstmals CYfianum-Teile nachweisen (Abb. 4 C), die in situ von einer paarigen Gruppe von Imaginalzellen des Clypeo-Labrums gebildet werden (Gehring & Seippel, 1967). Die ersten Æe/nstrukturen folgen erst in der 12. Generation (Abb. 4A). Zu diesem Zeitpunkt wurde die Prolifera-tion so stark, daβ nur noch Stichproben des Materials weitertransplantiert werden konnten. Die Halterenzellen scheinen jedoch ihre Proliferationsrate nicht wesentlich zu verändern und wurden wahrscheinlich deshalb in der 12. Generation vollstandig von den allotypischen Zellen verdrangt (Abb. 4A).
Kultur H 51. Prozeotuale Häufigkeit der während der Dauerkultur fest-gesteilten Differenzierungsqualitaten. Autotypisch: Haltere (H). Ailotypisch: Fliigel (F), Thorax (Th), Antennenglieder (Ant), Palpus (P), Cibarium des Clypeo-Labrums (Cib), Augenpigment und Facetten (Au) und die übrigen Derívate der Augenscheibe (A), Bein (B). Trg. Transfergenerationen 1-32. n: Anzahl Testimplan-tate pro Transfe rgene rat ion.
Kultur H 51. Prozeotuale Häufigkeit der während der Dauerkultur fest-gesteilten Differenzierungsqualitaten. Autotypisch: Haltere (H). Ailotypisch: Fliigel (F), Thorax (Th), Antennenglieder (Ant), Palpus (P), Cibarium des Clypeo-Labrums (Cib), Augenpigment und Facetten (Au) und die übrigen Derívate der Augenscheibe (A), Bein (B). Trg. Transfergenerationen 1-32. n: Anzahl Testimplan-tate pro Transfe rgene rat ion.
Kultur H 51. DifTerenzierungsqualitàten während 32 Transfergenerationen (Trg 1-32). n: 941 Testimpiantate. Die unterbrochenen diinnen Linien bedeuten das Fehlen von Informationen (keine Testimpiantate).
Die Häufigkeit der allotypischen Flügel-, Antennen-und Beinelemente zeigt bis zur 18. Transfergeneration nur zufallige Fluktuationen (Abb. 3); dies ist besonders auch fur Palpus der Fall. Die Frequenz der Thoraxteile nimmt jedoch deutlich ab, was im Gegensatz zu Beobachtungen an anderen Dauer-kulturen steht (Hadorn, 1966). Das Cibarium bleibt, bezogen auf das Gesamt-material, stets relativ selten, ist jedoch in einzelnen Subkulturen angereichert (Abb. 4C). ‘
(c) Genetisch markierte Zellen
Kleine genetisch markierte y sn Areale oder einzelne y sn Borsten wurden in der Kultur H 51 mehrmals beobachtet. In einer Subkultur trat ein grbβeres Klon von markierten Thoraxzellen auf, das jedoch keine weiteren Zelltypen lieferte. Dies bestatigt unsere friiheren Befunde, wonach Thoraxblasteme weit-gehend stabil sind (Hadorn, 1966; Gehring, 1966). Somatisches Crossing-over oder somatische Mutationen treten somit auch spontan in unseren Kulturen auf. Ähnliches fand Mindek (1968) in Kulturen, ausgehend von weiblichen Genitalscheiben.
(d) ‘Facetten-Subkultur’
Ganz unerwartet traten in der Kultur H 51 von der 18. Generation an Areale mit normalen Facetten und Augenpigment auf (Abb. 4D und 5). Da diese Strukturen bisher nur ausnahmsweise in Genital-und Beinscheibenkulturen fcstgestellt wurden (Hadorn, 1966; Schubiger & Hadorn, 1968), ànderten wir die Strategie des Experimentes und führten nicht mehr zufallige Stichproben des Zcllmaterials weiter, sondern transferierten nur noch diejenigen Subkul-turcn, deren Testimplantate viel Facettenmaterial und Augenpigment geliefert hatten. Durch diese Selektion gelang es, die Facettenblasteme zu vermehren und uber 18 Generationen weiterzukultivieren (Abb. 4D). So konnten bis zur 32. Trg. 260 Testimplantate mit Augenmaterial gewonnen werden. Gleichzeitig kam es auch zu einer Vermehrung der übrigen Teile der Kopfkapsel (Abb. 6), wahrend die Häufigkeit der anderen allotypischen Elemente weitgehend un-verandert blieb. In einzelnen Implantaten der Facetten-Subkulturen konnten bcrcits vor der Metamorphose im Adultwirt rdtlich pigmentierte Areale fest-gestellt werden. In vorläufigen papierchromatographischen Untersuchungen lieβen sich in diesem Pigment keine Drosopterine nachweisen, wohl aber im Pigment, das normalerweise erst wahrend der Metamorphose gebildet wird. Dieses Verhalten entspricht demjenigen von Augenscheiben, die im Adultwirt nur Ommochrome, nicht aber Drosopterine bilden (Schlàpfer, 1963).
Direktkontakt zwischen Flügelspreite (FS) und Augen mit Faccttcn (Fa) und Augenpigment (AP). Aus Trg 20 der Kultur H 51. Vcrgr. 230 x.
Kultur H 51 (Trg 30). Einige, mit Facetten (Fa) und Augenpigment gleich-zeitig stark vermebrte Kopfkapselstrukturen: Postorbitalîa (PO), Frontoorbitaüa (FO), Frons (Fr) und Ocellen (Oc). Vergr. 180 x .
DISKUSStON
Die von uns angesetzten Halterenscheiben-Kulturen zeigten im Gegensatz zu den meisten bisher untersuchten Imaginalscheiben anfanglich eine auffallend niedrige Pioliferationsrate. Es ist daher schwierig, Dauerkulturen zu erhalten. Diese Schwierigkeit läBt sich durch die Verwendung von Kombinaten als Ausgangsmaterial (S. 308) teilweise überwinden, weil Kombinate starker proliferieren als intakte Scheiben. Die Dauerkultur H 51 zeigte eine typische Proliferations-Charakteristik, wie sie auch bei verschiedenen anderen Imaginal-scheiben-Kulturen beobachtet wurde (Abb. 4). Nach einer Anfangsphase mit schwacher Proliferation, in der vorwiegend autotypische Zellen vermehrt wurden, setztc in der 9. Transfergeneration ein intensives Wachstum ein, das zum Auftreten zahlreicher allotypischer Elemente führte. Die Gründe für diesen unvermittelten Anstieg der Proliferation sind unbekannt. Moglicherweise haben sich die Zellen zu diesem Zeitpunkt an das Adultmilieu adaptiert oder die rascher proliferierenden Zellen sind herausselektioniert worden. Die autotypi-schen Zellen scheinen in dieser Phase nicht wesentlich rascher zu proliferieren, so daβ sie von den allotypischen Zellen bald verdrangt werden und in unserem Fall in der 12. Generation vollständig aus der Kultur verschwinden. Von diesem. Zeitpunkt an enthalt die Kultur nur noch allotypische Zellen, bei denen eine hohere Proliferationsrate anhält.
In bezug auf die Transdetermination verhalten sich Blasteme von Halteren-scheiben nicht grundsätzlich anders als diejenigen der bisher untersuchten Scheiben. Die Frage, ob Halterenblasteme zu Abdominalzellen transdeter-ininieren, kônnen wir vorläufig nicht entscheiden, da bereits in den Kontroll-implantaten Areale mit ‘Adventivborsten’ (Loosli, 1959) gebildet werden, die morphologisch vom lateralen Teil des ersten Abdominaltergiten nicht zu unter-scheiden sind. Es erscheint aber unwahrscheinlich, daft eine Transdetermination zur Bildung der ‘Adventivborsten’ führt, da diese in allen Kontrollimplantaten auftreten. Strukturen der Abdominalsternite wurden in unseren Kulturen nicht festgestellt. Die ‘Adventivzellen’ verschwanden gleichzeitig mit den Halteren-zellen aus der Kultur H 51.
Die initiale Transdetermination führt von autotypischen Zellen, die für Haltere determiniert sind, zu allotypischen Flügelzellen (Abb. 2), in seltenen Fallen môglicherweise zu Palpuszellen. Aus diesen allotypischen Zellen gehen die übrigen allotypischen Elemente wahrscheinlich sekundär hervor und nicht direkt aus Halterenzellen (Abb. 5). Sicher sind die allotypischen Augenteile auf eine solche Transdetermination hôherer Ordnung zurückzuführen, weil sie erst 7 Transfergenerationen nach dem Verschwinden der Halterenzellen erst-mals auftraten (Abb. 3 und 4 D). Da erstmals und auch spater in mehreren Testimplantaten die Facettenareale in direktem Kontakt mit Flügelspreite stehen (Abb. 5), nehmen wir an, daβ sie durch Transdetermination aus Zellen, die für Flügelspreite determiniert waren, entstanden sind; doch muB diese Annahme noch durch Untersuchung des ‘Cell Lineage’ bestätigt werden. Dieser Transdeterminations-Schritt wurde bisher nur sehr selten beobachtet (Schubiger & Hadorn, 1968); anschlieβend an die Transdetermination kônnen die präsumptiven Ommatidien-Zellen ihre Determinationsqualität über zahl-reiche Zellgenerationen reproduzieren. Dies spricht für eine andauernde Zellhereditat, da nach den Versuchen von Nôthiger (1964) und Garcia-Bellido (1966) die einzelne Zelle und nicht der Zellverband als Ganzes die Determinations-qualität tràgt. Diese Zellhereditat kann durch den Transdeterminations-Prozess durchbrochen werden. Eine Selektion für Implántate, die Facetten ausbilden, ist wohl nur deshalb erforderlich, weil andere allotypische Zellen rascher proliferieren, so dafi diese mit der Zeit die Ommatidienzellen verdrängen würden.
Es stellt sich nun die Frage, ob die Transdetermination eine partielle Dedif-ferenzierung voraussetzt. Eine solche ist bei unserer Versuchsanordnung schwie-rig zu erfassen, da wir immer nur das metamorphosierte Endstadium analy-sieren. Die ‘Facetten-Subkultur’ erlaubt uns jedoch RückschlüBe auf den Differenzierungszustand der im Adultwirt kultivierten Zellen. Während die meisten facetten-bildenden Implántate keine sichtbaren Zeichen von Differen-zierung zeigten, konnten wir bei einigen Implantaten bereits vor der Meta-morphose rotbraunes Pigment feststellen. Dies ist als eine beginnende Adult-differenzierung aufzufassen. Die Frage, ob sich die Zellen, die Pigment gebildet haben, weiterhin teilen kônnen, ist aber noch offen. Wie Schläpfer (1963) gezeigt hat, bilden Augenscheiben aus verpuppungsreifen Larven nach 7–14 d Aufenthalt im Adultmilieu ebenfalls Pigment aus. Es werden jedoch nur Ommochrome und keine Drosopterine synthetisiert. Selbst Augenscheiben aus Larven des 1. Stadiums erreichen im Adultwirt den spatlarvalen Differenzierungs-zustand und bilden Pigment (Garcia-Bellido, 1965). Dies deutet darauf hin, dass die kultivierten Zellen im Adultwirt einen fortgeschrittenen Differenzierungs-zustand erreichen. Eine kurzfristige, der Transdetermination vorausgehende Dedifferenzierung ware jedoch mit den angewendeten Methoden kaum zu erfassen. So muss die Frage offen bleiben. Dad in Adultwirten erste Anfange einer imaginalen Differenzierung in Blastemen moglich sind, die keine Meta-morphose passiert haben, konnten auch Nôthiger und Oberlander (1967) zeigen. Sie stellten in kultivierten Genitalblastemen Kontraktionen fest, wie sie für Ductus ejaculatorius und Samenpumpen charakteristisch sind.
SUMMARY
Auto- and allotypical differentiation of the haltere disc blastemata of Drosophila melanogaster after culture in vivo
Haltere discs of mature larvae were cultured in the abdomen of adult flies. These primordia contain a mosaic of blastemata whose cells are determined for the different haltere parts and the structures of the dorsal metathorax. In the host’s hemolymph the cells proliferate, and for this reason maintain their larval state of differentiation. Adult development can be initiated by transplantation of the blastemata into host larvae with which they undergo metamorphosis.
Two types of cultures were set up to test the developmental capacities of blastemata. In short-term cultures the discs were grown for 36 and 42 days respectively in the adult host and then transplanted back into larvae. Long-term cultures were obtained by transferring the blastemata to a fresh adult host every 2–4 weeks. In each transfer a fraction of the culture was transplanted into larvae to be tested for its differentiative capacities. One long-term culture was kept for over thirty-two transfer generations (18 months).
During proliferation in the adult host, additional haltere parts (autotypic elements) are formed, as well as allotypic organs arising in normal development from other discs. For the process leading to such allotypic elements the term transdetermination is used. An initial transdetermination leads from haltere cells to wing cells. In a second step allotypic thorax, antenna, palpus, and cibarium structures are formed as well as parts of the head capsule and leg segments. Similar changes have been observed in cultures of other discs.
In one exceptional subculture ommatidia with eye pigment were formed. By selection the ommatidial blastemata were increased and propagated over twenty-two transfer generations. Presumably, the quality (specificity) of determination is transmitted by cell heredity.
In several implants of the ‘ommatidial subculture’, eye pigment formation in the adult host prior to metamorphosis was observed. However, final morphological differentiation takes place in the metamorphosing host only. Whether partial dedifferentiation has to precede transdetermination is still an open question.
Acknowledgements
Die Arbeit wurde ausgefiihrt mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Fdrderung der wissenschaftlichen Forschung.