ABSTRACT
Two first leg imaginai discs of different mutants from mature Drosophila larvae were mechanically disintegrated and mixed. The homogeneous aggregates were implanted into larvae, where they metamorphose with their hosts. Their differentiated structures show mosaics of all parts of the leg.
In combinations of wing and leg their respective cells separate completely, so that no chimaeric pattern can be formed.
In another combination the central part of a leg disc was mixed with the peripheral part of another leg disc which was genetically marked. Mosaics were found only for those structures (tarsus and tibia) which, according to the anlage plan, arise from the border-line between the two parts. Therefore the leg cells preserve their areal-specific state of determination even after disintegration and mixture.
Combinations of two genetically marked leg discs after metamorphosis produced numerous ‘micromosaics’ between a leg bristle and its proper bract. These chimaeric patterns are interpreted as the result of an induction by a bristle of its adjacent epidermal cell.
In a leg-wing combination, which has been cultivated in an adult host before transplanting into a metamorphosing larva, mosaics of leg and wing structures arose by transdetermination. Not only was there a change in determination, but there was also a change in cell affinities.
Transdeterminations in leg-wing combinations occur in the same frequencies as in single disintegrated leg or wing discs. Therefore transdetermination cannot be understood as a process of induction or assimilation.
The extent of proliferation in the adult host is dependent on the length of the culture period, on the genotype of the implant, and on the degree of injury of the cultivated imaginai disc.
The formation of allotypic elements is positively correlated with the proliferation rate. Thereby, transdetermination is not dependent on the length of the culture period in the adult host per se, but on the proliferation.
The results are discussed with respect to problems of determination.
I. EINLEITUNG UND PROBLEMSTELLUNG
Die Imaginalscheiben von Drosophila wurden schon friiher zum Studium entwicklungsphysiologischer Prozesse verwendet. Vor allem von E. Hadorn und Mitarbeitern sind in letzter Zeit Probleme der Determination, Differenzierung und Musterbildung angegangen worden. Fragmentations-, Dissoziations-und Reaggregationsversuche, Defektsetzungen mit UV, Transplantationen in Larval-und Adultwirte, sowie Dauerkulturen von Blastemen bieten mannigfache experimentelle Möglichkeiten. In der Differenzierung von Borsten oder Haaren, die je aus einer Epidermiszelle der Imaginalscheiben hervorgehen, kann die Leistung einer Zelle erfasst werden. Verschiedene farb-und formverandernde Mutanten ermoglichen die Markierung einzelner Epidermiszellen.
Aus den Versuchen von Nöthiger (1964) geht hervor, dass in der spatlarvalen Imaginalscheibe die Zellen schon weitgehend determiniert sind. Werden genetisch verschieden markierte Flügel-und Genitalscheiben vermischt, so trennen sich in der Regel die Zellen verschiedener Herkunft durch Zellwanderung. Selten jedoch versagt der Trennmechanismus, und einzelne Zellen verbleiben in einer fremden Umgebung. Dabei differenzieren sich die Zellen autonom herkunftsgemass, und zwar auch bei homonomen Kombinationen in Organanlagen der Genitalscheibe. Diese Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass Zellen verpuppungsreifer Genitalscheiben nicht nur fur die allgemeine Qualität ‘Genitalapparat’, sondern mindestens zu regionalen Qualitäten wie Analplatte oder Clasper determiniert sind. Ob allerdings in der spatlarvalen Imaginalscheibe jede Zelle bereits zu einer bestimmten Epidermiszelle oder Borste determiniert ist, konnte bis jetzt noch nicht entschieden werden. Verschiedene Umstande sprechen eher dafür, dass das endgültige Muster recht spat in der Entwicklung festgelegt wird (vergl. Diskussion bei Nöthiger, 1964; Hadorn, 1966). Gleiches gilt, wie Garcia-Bellido (1966) zeigen konnte, für die Flügelscheibe: Wird ein distales mit einem proximalen Flügelfragment kombiniert, so trennen sich die Anlagen, und in keinem Fall wurde Mosaikbildung beobachtet. Daraus kann geschlossen werden, dass die Zellen der Flügelscheibe in der verpuppungsreifen Larve ebenfalls wie bei der Genitalscheibe bereits zu regionalen Qualitäten wie Flügelbasis, Spreite oder Flügelrand determiniert sind.
Lässt man einem Scheibenfragment in einem jüngeren Larvalwirt oder im Abdomen einer adulten Fliege Zeit zum proliferativen Wachstum, bevor es in die Metamorphose und damit zur Differenzierung gelangt, so zeigt es Vergrösserung oder Verdoppelungen bestehender Anlagen. Dabei wird der Determinationszustand in ‘cell-lineage’ weitergegeben. Dieses Phänomen wird als ‘proliferative Regulation’ gedeutet (Nöthiger & Schubiger, 1966). Wichtig scheint uns dabei, dass die Determination zu bestimmten Differenzierungs-qualitäten während der Proliferation nicht verändert wird.
Diesen Resultaten stehen die Befunde von Hadorn (1963,1964, 1965 b, 1966), Schläpfer (1963) und Gehring (1966) gegenüber, die zeigen konnten, dass proliferierende Imaginalscheiben nach Kultur im Adultmilieu zu allotypischen Strukturelementen differenzieren, die der prospektiven Bedeutung des Blastems nicht mehr entsprechen. In weiteren Versuchen hat sich ergeben, dass alle bis anhin geprüften Scheiben unter geeigneten Bedingungen ihren Determinations-zustand verändern können. Die im Transplantationsexperiment manifest werdende Determination ist somit keineswegs irreversibel. Hadorn (1965b) hat diese Änderung der Determinationsqualität als Transdetermination bezeichnet.
Damit stehen wir vor der widersprüchlichen Situation, dass Zellen — oder deren Nachkommen — die bereits determiniert sind und in der Normalentwick-lung eindeutig definierte Muster bilden, unter bestimmten Bedingungen ihre Determinationsqualität verändern und einen neuen Entwicklungsweg einschlagen können. Diese Arbeit soil mit geeigneten experimentellen Methoden einen weiteren und neuen Beitrag zur Problematik der Detremination und Trans-determination liefern. Vor allem stellen sich folgende Fragen: 1. Wie weit ist die Determination in den Imaginalscheiben bereits fortgeschritten? 2. Kann der Transdeterminationsprozess beeinflusst und in eine bestimmte Richtung gelenkt werden? 3. Welches sind die Bedingungen, die zur Änderung in der Determinationsqualität führen? Als Ausgangsmaterial für die Experimente schienen uns die Vorderbein-und Flügelscheibe aus folgenden Gründen besonders geeignet: Für beide Imaginalscheiben sind Anlagepläne erarbeitet worden, die über die prospektive Bedeutung einzelner Primordien Auskunft geben (Hadorn & Buck, 1962; Schubiger, unverôffentlicht). Beide Scheiben sind relativ gross, deshalb können Fragmentationsversuche sowie Dissoziations-und Reaggregations-experimente bestimmter Teilstücke der Imaginalscheiben einfach durchgeführt werden. Zudem hat Schubiger (unveröffentlicht) für die Beinscheibe gezeigt, dass sie ihre Determinationsqualität recht häufig ändert.
II. MATERIAL UND METHODE
1. Transplantationen.
Als Spender der Imaginalscheiben verwendeten wir durchwegs Larven der Genotypen ‘y’ (yellow, 1-0,0) und ‘e’ (ebony, 3-70,7), wobei letztere zusätzlich den morphologischen Markierer ‘mwh’ (multiple wing hairs, 3-28,8 links von ‘sepia’) trugen. Die Imaginalscheiben wurden in einem Tropfen Insekten-Ringer aus verpuppungsreifen Spenderlarven herausseziert und nach der gebräuchlichen Methode von Ephrussi & Beadle (1936) entweder in Larven des friihen 3. Stadiums (72-78 h nach Eiablage) oder ins Abdomen ein-bis zweitägiger weiblicher Imagines implantiert. Die Larvalwirte waren vom Wildtyp, während als Adultwirte in Anlehnung an Hadorns Kulturen (1963-66) ‘white’ - Wirte Verwendung fanden. Da nach Hadorn & Garcia-Bellido (1964) die Implantate in befruchteten Weibchen das stärkste proliferative Wachstum aufweisen, setzten wir den Wirtsweibchen immer einige Mannchen zu. Die operative Sterblichkeit betrug bei Transplantationen in Larven ca. 20 %, bei Fliegen meistens weniger als 2 %. Die metamorphosierten Implantate wurden in Ringerlösung aus dem Abdomen der Wirtsfliege herauspräpariert, in Fauresche Lôsung übergeführt, ausgebreitet und unter einem Deckglas eingeschlossen. Samtliche Kulturen hielten wir bei 25° C auf dem üblichen Standard-futter (Mais, Zucker, Agar, Hefe).
2. Herstellung von Kombinaten.
Alle Kombinate wurden nach der von Nöthiger (1964) entwickelten Technik hergestellt. Dabei wird die Peripodial-membran zweier genetisch markierter Scheiben aufgerissen, die kleinere Scheibe in die grossere hineingepresst und anschliessend das Ganze mit zwei feinen Wolframnadeln mechanisch durchmischt, bis eine mehr oder weniger homogene Zellmasse entsteht. Obschon der Dissoziationsgrad bei dieser Methode relativ klein ist, führt diese Technik doch genügend häufig zum Einbau einzelner Zellen oder Zellkomplexe in Areale des Partners.
3. Messung des Wachstums.
Um das Ausmass des proliferativen Wachstums der Implantate im Adultmilieu zu erfassen, verwendete ich folgende Methode : Eine gewohnliche Transplantationsnadel wurde leicht modifiziert, indem ich die Einschnürung weiter hinten ais üblich anbrachte. Dabei wies die Kapillare von der Spitze bis zur Einschnürung einen konstanten, relativ kleinen Durchmesser auf. Wird nun ein Implantal in die Transplantationsnadel eingesogen, so ist sein Volumen proportional der Lange in der Kapillare. Auf einer Strichplatte, die ins Binokular eingeschoben wurde, kann die Länge des Implantätes leicht abgelesen werden. Die Eichung der Kapillare erfolgte mittels Quecksilber. Verschieden grosse Tröpfchen wurden in die Kapillare eingesogen, die Länge des Quecksilberfadens mit der Strichplatte bestimmt und anschliessend auf der Mikrowaage gewogen. Aus dem Gewicht des Quecksilbers liess sich so auf einfache Weise das Volumen bestimmen.
III. ERGEBNISSE
1. Kombination ganzer Beinscheiben, Transplantation in 72-78 h alte Larven
Diese Experimente sind als Vorversuche gedacht, wobei es zu prüfen galt, inwiefern sich die Beinscheiben unter der hier verwendeten Experimentaltechnik gleich verhalten wie bei der verfeinerten Methode (chemische Dissoziation), die Garcia-Bellido (1966) anwandte.
Von 89 metamorphosierten Kombinaten lieferten 72 Präparate Mosaike. Dabei fanden sich Mosaikbildungen in sämtlichen Beinteilen. In der Abbildung 1 sind 4 Fälle dargestellt. Klauenmosaike, wie sie die Abb. 1 c zeigt, traten recht haufig, nämlich in 13,5 % aller Kombinate auf. Neben völlig zufallsgemässer Anordnung der ‘ebony’ und ‘yellow’ Borsten (Tarsusborsten, Abb. le) konnte sehr oft auch der Einbau ganzer Zellkomplexe in das Muster des genetisch markierten Partners festgestellt werden (Tibiatransversalreihen, Abb. lb; Geschlechtskammzahne,Abb. 1 c). Wir sind geneigt, diesen Unterschied auf die unvollständige Dissoziation der Zellen bei der hier verwendeten Technik zurückzuführen. Im weiteren konnten bereits bekannte Phänomene ans früheren Kombinationsexperimenten (Hadorn, Anders & Ursprung, 1959; Ursprung & Hadorn, 1962; Nöthiger, 1964; Garcia-Bellido, 1966) bestätigt werden: 1. Die verschiedenen Beinteile (Coxa, Trochanter, Femur, Tibia, Tarsus) zeigen, auch wenn sie aus Zellen beider Spender aufgebaut sind, in der Regel nur solche Strukturen (Borsten, Haare, usw.), die auch in situ gebildet werden. Beispiels-weise konnte eine Klaue immer nur im Tarsus, nie aber auf einem anderen Beinteil gefunden werden. 2. Neben normalen Mustern, wie sie in situ zu beobachten sind, treten sehr oft aberrante Muster auf, wobei die raumliche Anordnung der Borsten gestört, sowie deren Anzahl meistens erhöht ist. So gibt es von normal ausgebildeten Geschlechtskammen, bei denen 9 bis 12 Zähne in einer Reihe stehen, aile Übergänge bis zu solchen, wo 50 und mehr Zähne dicht gedrängt nebeneinander angeordnet sind.
Kombinate aus Zellen genetisch verschieden markierter Beinscheiben (hell = ‘yellow’-Mutante, dunkel = ‘ebony’- und ‘multiple wing hairs’-Mutanten von. Drosophila melanogaster). a, Klauenmosaik; b, Tibia-Transversalreihenmosaik; c, Tarsusmosaik, der Pfeil bezeichnet ein ‘Mikromosaik’ zwischen Borste und zuge-hörigem ‘bract’; d, Geschlechtskammosaik. a und b sind Photos, c und d Zeich-nungen.
Kombinate aus Zellen genetisch verschieden markierter Beinscheiben (hell = ‘yellow’-Mutante, dunkel = ‘ebony’- und ‘multiple wing hairs’-Mutanten von. Drosophila melanogaster). a, Klauenmosaik; b, Tibia-Transversalreihenmosaik; c, Tarsusmosaik, der Pfeil bezeichnet ein ‘Mikromosaik’ zwischen Borste und zuge-hörigem ‘bract’; d, Geschlechtskammosaik. a und b sind Photos, c und d Zeich-nungen.
a, b, ‘Mikromosaike’ zwischen Beinborste und zugehörigem ‘bract’. a, ‘e’-Borste mit ‘y’-’bract’; b, ‘y’-Borste mit ‘e,mwh’-bract’, c, Eine ‘y’-Borste mit 2 ‘bracts’.
Zwei weitere Beobachtungen seien hier erwähnt, auf die wir in der Diskussion näher eingehen (S. 627). Erstens treten in den Kombinaten neben den zu erwartenden autotypischen Beinteilen auch Flügel-(Spreite) und Kopfstruk-turen (Arista) auf. Diese allotypischen (bedeutungsfremden) Elemente (Hadorn, 1965,d) sind an sich nicht überraschend, unerwartet ist einzig der Umstand, dass sie unter den gegebenen experimentellen Bedingungen (Transplantation in Larven, ohne Verlängerung der Zeit zur Proliferation) auftreten. Dieses Résultat steht im Gegensatz zu den Verhältnissen bei der Flügelscheibe (Ursprung & Hadorn, 1962) und Genitalscheibe (Nöthiger, 1964), wo ausschliesslich auto-typisch differenziert wurde.
Die zweite Beobachtung wollen wir etwas ausführlicher besprechen. An dieser Stelle sei zuerst nachgetragen, dass die Borsten der distalen Beinteile sowie der basalen Flügelcosta neben ihrem Sockel in der Regel eine Schuppe (einen sogenannten ‘bract’) aufweisen. In unseren Kombinaten fanden wir nun bfters ‘Mikromosaike’ zwischen Borste und dazugehbrigem ‘bract’ (Abb. 2a, b). Der morphologische Markierer ‘multiple wing hairs’ modifiziert neben den Haaren der Flügelspreite (Di Pasquale, 1952) auch die übrigen Körperhaare sowie die ‘bracts’ (Peyer & Hadorn, 1965). Dieser Befund zeigt, dass es sich bei den ‘bracts’ um abgewandelte Haare (Trichome) handelt. Unser Befund, wonach Mosaike zwischen Borste und ‘bract’ auftraten, stützt diese Interpretation. Jedenfalls kann der ‘bract’ nicht durch ‘cell-lineage’ aus borstenbildenden Zellen entstanden sein. Eine Schwierigkeit bei der Beurteilung dieser Mikro-mosaike sei allerdings nicht verschwiegen: Gelegentlich sind auch bei ‘ebony ‘- Borsten die dazugehbrigen ‘bracts’ nicht richtig ausgefärbt, wodurch der Eindruck eines Mosaiks vorgetäuscht wird. Ausserdem verändert das Gen ‘mwh’ nicht alie ‘bracts’, seine Penetranz ist sehr variabel (B. Peyer, persönl. Mitteilung). Da aber unsere Zellen doppelt markiert wurden (einerseits mit Farbmarkierung, andererseits morphologisch mit ‘‘multiple wing hairs’), registrierten wir nur jene Falle als gesicherte Mosaike, bei denen morphologische Markierung und Färbung übereinstimmten. Wir fanden sowohl ‘y’-Borsten mit 4e,mwh’- bracts’, als auch den reziproken Fall (vergl. Abb. 2a und b). Ganz selten ist eine Borste auch von zwei ‘bracts’ begleitet (Abb. 2c). Dagegen konnten wir in Übereinstimmung mit Garcia-Bellido (1966) nie ‘bracts’ allein nachweisen. Für die Interpretation dieser Resultate verweisen wir auf die Diskussion (S. 628).
2. Kombination von Bein-mit Flügelscheiben, Transplantation in 72-78 h alte Larven
Auch dieses Experiment ist als ein Vorversuch aufzufassen. Trotzdem können wir nicht auf diese Kombination verzichten, da sie als Kontrolle für später zu besprechende Versuche notwendig ist.
Gesamthaft stehen uns 36 metamorphosierte Implantate zur Verfügung; dieAbb. 3 zeigt einen Ausschnitt aus einem solchen Kombinat. Daraus wird ersichtlich, dass sich Bein-und Flügelzellen vollstandig trennen. Nie wurden mit Sicherheit chitinöse Verwachsungen zwischen Bein-und Flügelarealen oder Mosaike beobachtet; weder kam es zum Einbau von Beinzellen in Areale des Flügels, noch konnte die reziproke Kombination festgestellt werden. Nun wissen wir allerdings, dass solche ‘Fehlermosaike’ nicht ausgeschlossen sind (Nbthiger 1964). Die relativ kleine Anzahl der hier untersuchten Fälle lässt deshalb die Mbglichkeit durchaus offen, dass sich ‘Fehler’ auch in unseren Kombinaten ereignen können. Wie wir auf S. 619 zeigen werden, kommen bei einer ähn-lichen Versuchsanordnung in dersel ben Kombination ‘Fehlermosaike’ tatsäch-lich vor. In Uebereinstimrnung mit Nöthiger (1964) und Garcia-Bellido (1967) können wir aus diesen Experimenten schliessen, dass sich Zellen der Bein-und Flügelscheibe durch Zellwanderung trennen (heterotypische Segregation). Ausserdem dürfen wir folgern, dass die Zellen durch die Dissoziation ihren Determinationszustand nicht einbüssen, sondern mindestens im Hinblick auf die allgemeine Qualität ‘Bein’ oder ‘Flügel’ fest determiniert bleiben.
Ausschnitt aus einem Bein-Flügelscheiben-Kombinat. Neben ‘y’-Fliigel-teilen(S = Spreite, D = Dreierreihe) haben sich ‘e,mwh’-Beinelemente(Ti = Tibia, Ta = Tarsus) separiert.
3. Kombination fragmentierter Beinscheiben, Transplantation in 72-78 h alte Larven
Mit Fragmentierungsversuchen lokalisierten Hadorn, Bertani & Gallera (1949) erstmals einzelne Organanlagen innerhalb der Genitalscheibe. Die gleiche Technik verwendete Schubiger (unveröffentlicht) für die Ermittlung des Anlageplanes bei der männlichen Vorderbeinscheibe. Dabei zeigte sich, dass die einzelnen Beinteile in der verpuppungsreifen Scheibe in konzentrischen Ringen angeordnet sind. Der innerste Ring bildet in der Metamorphose die letzten vier Tarsalglieder mit den Klauen, während die Coxa aus dem peripheren Teil der Imaginalscheibe entsteht.
Dieser Anlageplan ermöglicht es, unsere erste Frage nach dem Determina-tionszustand der Zellen anzugehen. Wir kombinieren in reziproken Versuchs-anordnungen den zentralen Teil einer genetisch markierten Scheibe (z.B. ‘yellow’) mit dem peripheren Teil der Partnerscheibe (‘ebony, multiple wing hairs’). Die beiden Fragmente werden wiederum mechanisch gemischt und anschliessend durch Transplantationen in Larven auf ihre Entwicklungsleistung geprüft. In derAbb. 4 ist diese Versuchsanordnung schematisch dargestellt.
Vereinfachte schematische Darstellung der Kombinationsexperimente: Der zentrale Teil einer verpuppungsreifen ‘y’-Beinscheibe wird mit dem peripheren Teil einer ‘e, mwh’-Partnerscheibe vermischt. Nach der Metamorphose treten nur im Schnittgebiet (T = Tarsus) Mosaike auf, während fiir Klauen (K)und Coxa (C) keine chimärischen Muster festgestellt werden.
Vereinfachte schematische Darstellung der Kombinationsexperimente: Der zentrale Teil einer verpuppungsreifen ‘y’-Beinscheibe wird mit dem peripheren Teil einer ‘e, mwh’-Partnerscheibe vermischt. Nach der Metamorphose treten nur im Schnittgebiet (T = Tarsus) Mosaike auf, während fiir Klauen (K)und Coxa (C) keine chimärischen Muster festgestellt werden.
An dieser Stelle sei eine theoretische Überlegung vorweggenommen. Durch Désintégration und Vermischung der Fragmente geLängen determinierte Zellen innerhalb des Kombinates in eine fremde Umgebung. Verlieren die Zellen durch die Dissoziation ihre Determinationsqualitäten zu bestimmten Organanlagen, die aus den Ergebnissen der Fragmentierungsversuche postuliert wurden, so sind bei dieser Versuchsanordnung Mosaike in allen Beinteilen zu erwarten.-Eine Tarsuszelle beispielsweise, die zufällig in den Bereich einiger Coxazellen gelangt, wird unter ihrem Einfluss zu Coxa umdeterminiert und müsste sich am Auf bau dieses Musters beteiligen. Behalten die Zellen jedoch ihren ursprünglichen Determinationszustand auch während der Dissoziation und Vermischung bei, sind also die Zellen selbst die Trager der Determination, so werden sich die verschiedenen Zelltypen aussortieren. Dabei sind als Folge der isotypischen Assoziation Mosaike nur im Schnittgebiet zu erwarten, das auf Grund des Anlageplanes zu Tarsus determiniert ist.
Unsere Befunde sprechen eindeutig für die zweite Hypothese: Von 66 Kombinaten lieferten 42 (64 %) Mosaike im Tarsus, 10 (15 %) in der Tibia, während im Femur und Trochanter keine Mosaike beobachtet werden konnten. Merkwürdigerweise fanden wir aber je zwei Mosaike in den Klauen und in der Coxa, also in Regionen, die nicht im Schnittgebiet liegen.Abb. 5 gibt die Verhältnisse fiir Coxa, Tarsus und Klauen wieder. Vergleichen wir die in diesem Experiment aufgetretenen Mosaikhäufigkeiten mit den Kontrollversuchen (Ver-mischen ganzer Scheiben), so stellen wir fest, dass die beobachtete Mosaik-häufigkeit wohl im Tarsus der Erwartung entspricht (χ2-Test, p ≈ 0,8), nicht aber in Coxa (p < 0,01) und Klauen (p < 0,05). Wir schliessen daraus, dass die Klauen-und Coxamosaike wahrscheinlich durch eine ungenaue Schnittfuhrung bedingt sind. In der verpuppungsreifen Larve wird der periphere Scheibenrand, der fiir Coxa determiniert ist, sehr oft bereits aufgewölbt. Deshalb ist leicht einzusehen, dass prasumptives Coxamaterial — im Gegensatz zu Trochanter-und Femuranlage — bei der Fragmentation mit dem zentralen Scheibenteil erfasst werden kann.
Vergleich der Mosaikhäufigkeiten in verschiedenen Beinteilen (Coxa, Tarsus, Klauen) nach Kombination von ganzen Beinscheiben (schwarze Säulen) und Scheibenfragmenten (schraffierte Säulen). Erklarung im Text.
Damit ist gezeigt, dass die Zellen der Beinscheibe in der verpuppungsreifen Larve mindestens zu regionalen Qualitäten wie Tarsus oder Tibia determiniert sind und diesen Determinationszustand auch im Dissoziationsversuch beibe-halten. Das besagt allerdings nicht, dass jede Zelle bereits endgültig zu einer bestimmten Strukturqualitat (z.B. Borste, Haar, ‘bract’) determiniert ist. Dieses Problem wird auf S. 627 eingehend diskutiert.
4. Entwicklungsleistungen der Bein-Flügel-Kombinate nach Kultur in vivo
Wie auf S. 615 ausgeführt wurde, trennen sich Bein-Flügel-Kombinate wieder in die beiden Spendertypen, wenn sie direkt in metamorphosierende Larven implantiert werden. Wir fragen uns nun, ob die Zellen auch aussortieren, nachdem Zellaggregate zuerst im Abdomen adulter Fliegen kultiviert wurden.
Wir implantierten 25 Zellgemische aus je einer ‘y’-Flügelscheibe und einer ‘e,mwh’ -Beinscheibe sowie 28 reziproke Kombinationen in adulte Weibchen. Nach 16 Tagen wurden die Implantate aus dem Abdomen freipräpariert und in Larvalwirte zurückversetzt. Die Kombinate proliferierten im Adultwirt so stark, dass es aus technischen Gründen nicht möglich war, sie als Ganzes in Larven zu implantieren. Ein Implantal, das besonders starkes Wachstum aufwies, konnte in 44 Teilstücke zerlegt werden, wovon 36 Präparate gewonnen wurden. Auf die Ursache dieses ausserordentlich kraftigen Wachstums wird auf S. 623 einge-gangen. Total erhielten wir 315 Implantate vom ersten und 317 vom zweiten Kombinationstyp.
Unter den insgesamt 632 Implantaten fanden wir nur zwei Präparate mit Mosaiken, bei denen Beinteile in Areale des Flügels eingebaut sind. Der reziproke Fall, nämlich vereinzelte Flügelzellen in Beinstrukturen, konnte nicht mit Sicherheit festgestellt werden. In der Abb. 6 ist ein solches ‘Fehlermosaik’ wiedergegeben : Drei Tarsusborsten haben sich in der Flügelspreite autonom differenziert; ihre dunkle Färbung weist sie ais Derívate der Beinscheibe aus, und die Bildung von ‘bracts’, die schwache Behaarung sowie das Auftreten von sog. ‘Rillen’ in der Cuticula ermöglicht die eindeutige Zuordnung zum Tarsus. Im anderen, hier nicht abgebildeten Fall sind 11 Tarsusborsten in einer Flügelspreite eingegliedert. Diese beiden Befunde zeigen, dass einzelne Zellen auch nach längerer Kulturdauer in vivo sowie nach starkem proliferativem Wachstum ihre Determinationsqualitäten keineswegs verlieren müssen: Sie werden nicht nachweisbar ‘de determiniert’. Ihre Differenzierung erfolgt auch in einer ‘fremden’ Umgebung herkunftsgemass und nicht ortsgemass.
‘Fehlerhaftes;’ Mosaik zwischen ‘e,mwh ’-Tarsus und ‘y’-Flügelspreite. Schwache Behaarung und Bildung von ‘Rillen’ in der Epidermis unterscheiden die in der Spreite eingefügte Struktur von irgendwelchen Derivaten der Flügel-scheibe.
Neben diesen seltenen ‘Fehlermosaiken’ fanden wir zu unserer Überra-schung aber auch echte Flügel-und Beinmosaike. Unerwartet ist dieses Ergebnis vorerst deshalb, weil wir aus unserem vorangegangenen Experiment (S. 615) wissen, dass Zellen im Kombinat aus Bein-und Flügelscheiben nach Trans-plantation in metamorphosierende Larvalwirte aussortieren und keine Mosaike bilden. Sodann fällt auf, wie ausserordentlich häufig besonders Mosaike im Flügel entstehen: Von 53 Scheibengemischen führten 22 (41,5%) zu Flügel-mosaiken, hingegen lediglich 5 (9,4 %) zu Beinmosaiken. Die Abb. 7 zeigt je ein Tarsus bzw. Flügelmosaik.
Mosaikbildungen in Bein-Flügel-Kombinaten nach Kultur im Abdomen adulter Weibchen. a, Tarsusmosaik (G = Geschlechtskammzähne, K = Klauen); b, Flügelspreitenmosaik.
Wie ist es zur Bildung dieser Mosaike gekommen? Nach allem, was wir wissen, ist die einzelne Zelle für bestimmte Qualitäten determiniert. Ein Flügel-mosaik z.B. muss also wohl so entstanden sein, dass ursprünglich zu Bein determinierte Zellen einen neuen Entwicklungsweg beschritten, d.h. transdeterminiert wurden und sich am Aufbau von Flügelstrukturen beteiligten. Mit der Transdetermination erfolgte gleichzeitig eine Aenderung in den Zellaffinitaten (Garcia-Bellido, 1967). Zwei grundsätzlich verschiedene Mechanismen kommen für die Bildung der beobachteten Mosaike in Frage : 1. Ein Blastem zwingt seinen Determinationszustand anderen Zellen auf, die zufällig unter seinen Einfluss geLängen. Die Transdetermination ist so als ein Induktions-oder Assimilationsprozess zu verstehen. 2. Transdeterminationen erfolgen spontan und ungerichtet, unabhangig von noch anderen im Kombinat vorhandenen Blastemqualitaten. Wir werden zu dieser Alternative Stellung beziehen, sobald wir die Befunde der nächsten Versuchsanordnung kennen gelernt haben.
5. Entwicklungsleistungen desintegrierter Bein-und Flügelscheiben nach Kultur in vivo
In dieser Experimentalserie prüften wir 30 ‘e,mwh’-und 29 ‘y’-Beinscheiben sowie 31 ‘e, mwh’-und 32 ‘-Flügelscheiben. Die Scheiben aus verpuppungsreifen Larvalwirten wurden einzeln desintegriert und während 16 Tagen in adulten Weibchen kultiviert. Nach Rücktransplantation in Larven erhielten wir 388 metamorphosierte Implantate.
Die in der Tab 1. zusammengefassten Resultate lassen drei wichtige Schlüsse zu: (d) Unter identischen Versuchsbedingungen erfolgte der Transdeterminationsschritt von Bein zu Flügel mehr als viermal haufiger als der reziproke Schritt. In diesem Umstand manifestiert sich eine scheibenspezifische Trans-determinationswahrscheinlichkeit. Dieser Befund hat ein gewisses Gewicht für das Problem der Sequenz (Gehring, 1966; Hadorn, 1966), auf das in der Dis-kussion näher eingetreten wird. (b) Flügel-und Beinmosaike traten bei reziproken Versuchsanordnungen in Kombinaten aus Bein-und Flügelscheiben nicht gleich haufig auf. Dieses Resultat ist dann zu erwarten, wenn die beiden Genotypen unterschiedliche Transdeterminationsfrequenzen aufweisen. Vergleichen wir nun die Haufigkeiten aller Transdeterminationsereignisse bei den zwei verwendeten Genotypen miteinander, so stellen wir fest, das sich Transdeterminationen beim Genotyp ‘e, mhw’ doppelt so haufig ereignen wie beim Genotyp ‘y’ Daraus schliessen wir, dass der Genotyp die Transdeterminations-wahrscheinlichkeit beeinflusst. (c) Aus dem vorhergehenden Kombinations-experiment lassen sich die Transdeterminationsfrequenzen von Bein zu Flügel und von Flügel zu Bein leicht ermitteln. Diese stimmen mit den Haufigkeiten überein, die wir jetzt für die einzelnen desintegrierten Scheiben beobachten.
Transdeterminations- und Mosaikfrequenzen von Bein-Flügelkombinaten sowie von desintegrierten Bein-und Flügelscheiben nach 16-tägiger Kultur in vivo und anschliessender Rucktransplantation in metamorphosierende Larvalwirte

Wir sehen daraus, dass die Transdeterminationsfrequenz eines bestimmten Blastems durch das Vorhandensein anderer Blasteme nicht beeinflusst wurde. Transdeterminationen ereignen sich also spontan und ungerichtet mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit, die der betreffenden Scheibe und dem betreffenden Genotyp inhärent sind. Zum gleichen Ergebnis führen ähnliche Versuche von Garcia-Bellido (1967).
6. Beziehung zwischen Wachstum und Transdetermination
In Antennenscheiben-Kulturen stellte Gehring (1966) fest, dass eine hohe Korrelation zwischen Wachstum und Transdetermination besteht. Da unser Material je nach Genotyp mit unterschiedlicher Frequenz allotypische Elemente bildet, fragen wir uns nun, ob die häufiger transdeterminierenden ‘e.mwh’-Zellen auch starker proliferieren als die ‘y’-Zellen.
Wir prüften für jede Versuchsserie ca. 30 Beinscheiben aus verpuppungsreifen Larven. Das Volumen der Scheiben vor und nach der Kultur im Abdomen adulter Weibchen wurde nach der auf S. 611 beschriebenen Technik bestimmt, so dass das Wachstum für jedes Implantat gesondert ermittelt werden konnte. Anschliessend wurden die Scheiben in Larven des friihen 3. Stadiums implantiert und auf ihre Entwicklungsleistung getestet. Dabei verwendeten wir Scheiben der Genotypen ‘y’ oder ‘e, mhw’ und variierten die Kulturdauer im Adultmilieu, ndem wir die Implantate 4, 8 bzw. 16 Tage in den Wirtsweibchen beliessen. Ausserdem untersuchten wir das Wachstum ganzer, sowie langs-und querhal-bierter Beinscheiben. In einer letzten Versuchsserie wurden die Imaginalscheiben desintegriert, bevor wir sie in adulte Weibchen implantierten. Für die statistische Auswertung fassten wir jeweils alle untersuchten Scheiben einer Serie zusammen.
Die Ergebnisse sind in der Tab 2. zusammengestellt und in Abb. 8 graphisch aufgezeichnet. Daraus wird ersichtlich, dass die Proliferationsaktivität in den ersten Kulturtagen am ausgepragtesten ist und gegen Ende der Kulturdauer absinkt. Dieser Befund deckt sich mit den Resultaten, wie sie aus vielen Wachs-tumsuntersuchungen bekannt sind, sowie mit den Ergebnissen von Hadorn & Garcia-Bellido (1964). Am stärksten wachsen desintegrierte Scheiben (D), während längshalbierte Scheiben (C) bereits eine deutlich verminderte Proliferationsaktivität aufweisen. Bei querhalbierten Scheiben (B) ist die Grössen-zunahme noch geringer, und ganze Scheiben (A) wachsen sogar in der Regel nur in der Initialphase. Diese Resultate lassen den Schluss zu, dass offenbar das Ausmass der Verletzung die Intensitat des Wachstums bestimmt. Je grosser die Wundfläche ist, desto mehr wird die Proliferationsaktivitat gesteigert. Im weiteren können wir der Abb. 8 entnehmen, dass die ‘e, mwh’-Imaginalscheiben in alien Versuchsserien starker wachsen als die ‘y’-Scheiben.
Wachstum und Transdeterminationshäufigkeiten ganzer, halber und desintegrierter Beinscheiben aus verpuppungsreifen Larven nach verschieden Länger Kulturdauer in imaginalen Wirten

Wachstum ganzer (A), querhalbierter (B), längshalbierter (C) und des-integrierter (D) Beinscheiben nach unterschiedlicher Kulturdauer im Abdomen adulter Wirte. Ordinate, Vohimenzunahme in % der Ausgangsgrosse; Abszisse, Kulturdauer in Tagen d. — = ‘e,mwh’-Beinscheiben; ---- = ‘y’-Beinscheiben. Mittelwerte aus den Versuchsserien der Tab. 2.
Wachstum ganzer (A), querhalbierter (B), längshalbierter (C) und des-integrierter (D) Beinscheiben nach unterschiedlicher Kulturdauer im Abdomen adulter Wirte. Ordinate, Vohimenzunahme in % der Ausgangsgrosse; Abszisse, Kulturdauer in Tagen d. — = ‘e,mwh’-Beinscheiben; ---- = ‘y’-Beinscheiben. Mittelwerte aus den Versuchsserien der Tab. 2.
7. Wachstum oder Zeitfaktor ?
Wir haben bisher folgendes festgestellt : Je Länger die Imaginalscheiben im adulten Wirt in Kultur gehalten werden, desto grosser ist die Proliferations-aktivität und um so häufiger treten allotypische Strukturen auf. Wir wissen aber noch nicht, welcher der beiden Parameter, Zeit oder Wachstum, für die Transdeterminationen verantwortlich ist. Dieses Problem lässt sich mit der nachstehenden Versuchsanordnung lösen.
Genetisch verschieden markierte Bein-und Flügelscheiben wurden vor der Transplantation in larvale Wirte während 16 Tagen im Abdomen einer adulten Fliege kultiviert. In einer ersten Serie mischten wir je eine Beinscheibe mit einer Flügelscheibe vor der Implantation in den adulten Wirt, in einer zweiten nach der Adultkultur. Die beiden Versuchsserien laufen unter genau kontrollierten identischen Bedingungen; während aber im ersten Fall die Implantate stark gewachsen sind, proliferieren sie im zweiten nur wenig (vergl. S. 623 und Abb. 8). Die Ergebnisse sind eindeutig: Von total 53 Kombinaten der ersten Experimentalserie lieferten 28 (53 %) Transdeterminationen, während unter den 32 Kombinaten der zweiten Serie nur eine Transdetermination (3 %) beobachtet werden konnte. Zudem betrifft dieses Kombinat ein Bein-Flügel-Gemisch, in welchem die Beinscheibe im Adultmilieu (wahrscheinlich infolge Verletzung) stark proliferierte.
Damit ist gezeigt, dass nicht die Kulturbedingungen im Adultmilieu die direkte Ursache der Transdetermination sind, sondern das proliferative Wachstum. Zum gleichen Resultat führt auch eine andere Überlegung. Aus der Tab 2. geht hervor, dass desintegrierte Beinscheiben, die nur 4 Tage im Adultmilieu verblieben, aber in dieser Zeit stark proliferierten, viel häufiger ihre Determination änderten als ganze Scheiben, die wir während 16 Tagen in Kultur hielten.
Die hier beobachtete Korrelation zwischen Wachstum und Transdetermination ist in der Abb. 9 graphisch aufgezeichnet. Dabei entspricht jeweils ein Messpunkt dem Mittelwert einer ganzen Versuchsserie (vergl. Tab 2.). Der Pearson’sche Korrelationskoeffizient r berechnet sich auf 0,97. Wir werden im letzten Abschnitt der Diskussion nochmals auf die Abhängigkeit der Transdetermination von der Proliferationsaktivität zurückkommen.
IV. DISKUSSION
1. Zur Frage des zellspezifischen Determinationszustandes verpuppungsreifer Beinscheiben
Nach Vermischung zweier genetisch verschieden markierter Bein-und Flügel-scheiben kommt es — abgesehen von seltenen ‘Fehlermosaiken’ — stets zur Aussortierung der beiden Spendertypen und zu anschliessender Mosaikentwicklung. In diesem Vorgang manifestiert sich eine streng scheibenspezifische Determination. Aus Kombinaten fragmentierter Beinprimordien, wobei je der zentrale Teil einer Beinscheibe mit dem peripheren Teil des genetisch verschieden markierten Partners vermischt wurde, resultieren nur Mosaike im Schnittgebiet, das auf Grund des Anlageplanes (Schubiger, unveröffentlicht) zu Tarsus und Tibia determiniert ist. Wir schliessen daraus, dass die Determination in der Beinscheibe auch arealspezifisch festgelegt ist. Zellen desselben Histotyps vermögen auf Grund von Affinitäten und durch Zellwanderung ein integriertes Muster aufzubauen. Dieselben Befunde erhoben bereits früher Nöthiger (1964) für die Genital-sowie Garcia-Bellido (1966) für die Flügelscheibe.
Damit wissen wir allerdings noch nichts über den zellspezifischen Determinationszustand. 1st jede Zelle in einer spätlarvalen Imaginalscheibe bereits fest zu einer bestimmten Strukturqualität (Borste, Haar, ‘bract’, usw.) determiniert, oder fällt die endgültige Entscheidung, was eine Zelle zu bilden hat, erst an Ort und Stelle auf Grund eines überzelligen Organisationsmechanismus? Dabei kommen Ordnungsprinzipien embryonaler Felder oder Vormusterqualitäten (Stern, 1965) in Frage. Nun ist es bisher auch bei so eingehend untersuchten Objekten wie der Genitalscheibe (Ursprung, 1959; Lüönd, 1961) nie gelungen, eine der bekannten, mosaikartig angeordneten Organanlagen so zu unterteilen, dass nur einzelne Strukturelemente isoliert werden konnten. Es ist daher wahr-scheinlich, dass in der spätlarvalen Imaginalscheibe die Determinationsschritte, die das arealinterne Schicksal der Zellen bestimmen, noch nicht abgelaufen sind. Determiniert ware somit lediglich ein arealspezifischer vorletzter Zustand (Hadorn, 1966). ‘Letzte’, zellspezifische Determinationsschritte konnten in Form von differentiellen Zellteilungen erfolgen, wie sie Henke (1948) für die Musterbildung beim Schmetterlingsflügel angenommen hat. Jedenfalls steht fest, dass in der jungen Puppe mindestens ein Teil der Zellen noch weitere Mitosen durchläuft (Lees & Waddington, 1942).
Auch die Resultate von Hadorn (1966) lassen sich in diesem Sinne interpretieren. Selbst nach jahreLänger Kultur in vivo werden in den Teststücken nach der Differenzierung balancierte Muster verwirklicht. Es ware schwer verstàndlich, wie eine solche Beziehung in proliferierenden und wiederholt fragmentierten Blastemen durch direkte Zellheredität aufrecht erhalten werden könnte.
Schliesslich sprechen auch unsere Befunde sowie die Ergebnisse von Garcia-Bellido (1966) dafür, dass die letzten Determinationsschritte recht spät in der Entwicklung festgelegt werden. Wie auf S. 613 ausgeführt wurde, treten öfters ‘Mikromosaike’ zwischen Beinborste und zugehörigem ‘bract’ auf. Ausserdem konnten ‘bracts’ nie allein nachgewiesen werden. Diese Beobachtungen linden eine einfache Erklärung in der Annahme, dass die borstenbildenden Zellen die Potenz besitzen, einen ‘induktiven’ Reiz auf umgebende Epidermiszellen aus-zuübenund diese zur Bildung von ‘bracts’ zu veranlassen. Auch die Feststellung, wonach eine Beinborste von zwei ‘bracts’ begleitet sein kann, spricht für unsere Hypothese. Wir sind deshalb der Auffassung, dass die Zellen in verpuppungs-reifen Imaginalscheiben wohl arealspezifisch fest determiniert sind, dass aber die letzten Determinationsschritte, die zur Ausprägung typischer Muster führen, erst später (wahrscheinlich in der Metamorphose) ablaufen. Die endgültige Determination konnte dabei sowohl in Form von differentiellen Zellteilungen als auch durch zwischenzellige Reaktionsmechanismen festgelegt werden.
2. Anderung des Determinationszustandes durch Transdetermination
Der in den Imaginalscheiben etablierte Determinationszustand braucht nicht endgültig und irreversibel zu sein. Durch den Vorgang der Transdetermination wird ein neuer Entwicklungsweg eröffnet (Hadorn, 1965b, 1966). Gleichzeitig mit dem Wechsel in der Determinationsqualität erfolgt eine Anderung in den Zellaffinitaten. Dabei ist der Umschlag, wie auf S. 621 ausgeführt wurde, nicht als ein Induktions-oder Assimilationsprozess aufzufassen, denn Transde-terminationen ereignen sich in Flügel-Bein-Kombinaten mit denselben Frequenzen wie in einzeln desintegrierten Bein-bzw. Flügelscheiben. Gleiches fand auch Garcia-Bellido (1967) in ähnlichen Versuchen. Ebenso konnen die allotypischen Kopfstrukturen, die durch Transdeterminationen aus Flügel-und Beinzellen hervorgegangen sind, nicht durch Interaktionen zwischen Zellen im Sinne einer Induktion erklärt werden, da ja ein entsprechender Induktor gar nicht vorhanden war. Schliesslich sprechen auch die aufgetretenen ‘Fehlermosaike’ in unseren Kombinaten gegen eine Assimilation : Selbst wenige Zellen vermögen sich in einer fremden Umgebung autonom herkunftsgemäss zu differenzieren. Somit erfolgen Transdeterminationen spontan und ungerichtet, jedoch mit qualitativen und quantitativen Gesetzmässigkeiten : (d) Natur und Frequenz der allotypischen Strukturen sind vom primaren Determinations-zustand des Ausgangsmaterials abhängig. So liefern desintegrierte Beinscheiben im Gegensatz zu Flügelscheiben bereits nach Implantation in Larven des frühen 3. Stadiums allotypische Flügel-und Kopfteile. (b) Allotypische Blasteme vermögen ihren Determinationszustand bei geeigneten Kulturbedingungen erneut zu ändern und bilden damit das Quellmaterial für allotypische Strukturen höherer Ordnung (Hadorn, 1966; Gehring, 1966). (c) In diesem System von Sequenzen manifestiert sich ein Richtungssinn der Transdetermination’, gewisse Schritte sind leicht reversibel, andere hingegen weitgehend bis vollig irreversibel (Hadorn, 1966). Die Determinationszustände für Bein-und Flügelqualitäten sind relativ leicht ineinander überführbar: Wie auf S. 621 gezeigt wurde, erfolgt der Umschlag von Bein zu Flügel unter vollig identischen Versuchsbedingungen allerdings etwa viermal haufiger als der reziproke Schritt.
Während der Kultur in vivo ist keine ‘De-Determination’ der Zellen nach-weisbar, was zu einer Vergrösserung des Kompetenzinventars führen könnte (Hadorn, 1966; Gehring, 1966). Die beobachteten ‘Fehlermosaike’ beweisen, dass auch in unseren Kombinaten mehrere Determinationszustände unabhängig nebeneinander repliziert werden und dass die Bedingungen offenbar nicht erfüllt sind, die zu einer Senkung im Determinationsniveau führen. Jedenfalls wurden die Zellen in ihrem Determinationszustand nicht nachweisbar labiler, was sie befähigen könnte, auf induktive Reize benachbarter Zellen zu reagieren.
3. Korrelation zwischen Wachstum und Transdetermination
Eine Beeinflussung des Transdeterminationsprozesses in qualitativer Hinsicht ist bisher nicht gelungen. Wie im letzten Abschnitt der Diskussion ausgefiihrt wurde, war es nicht moglich, den Zellen gezielte neue Determinationszustände durch experimentelle Eingriffe aufzuzwingen. Hingegen gelingt es, durch eine Veränderung der Proliferationsdynamik den Transdeterminationsprozess in quantitativer Hinsicht zu beeinflussen.
Die Wachstumsrate der Imaginalscheiben wird durch den Genotyp beein-flusst: Scheiben des Genotyps ‘e,mwl’ proliferieren in alien Versuchsserien starker als ‘y’-Scheiben. Die Proliferationsaktivität kann durch Desintegration der Scheiben entscheidend gesitegert werden; je grosser das Ausmass der Ver-letzung, desto starker die Proliferation (S. 623). Zwischen der Transdeterminations frequenz und der Proliferationsaktivität besteht eine hohe Korrelation (vergl. auch Gehring, 1966; Hadorn, 1966). Dabei ist nicht die Dauer der Kultur im adulten Wirt die Ursache der Transdeterminationen, sondern das proliferative Wachstum.
Einen Einfluss des Wachstums auf die Determination hat bereits Vogt (1947) bei der homoiotischen Mutante ‘aristapedia’ (ssa) nachgewiesen. Beim mutanten Genotyp entsteht aus der vergrösserten Aristaanlage regelmässig ein Fuss. Wird durch eine Colchicin-Behandlung das Wachstum der Anlage gehemmt, so verschiebt sich die Differenzierung in Richtung Aristabildung. Transde-termination und homoiotische Mutationen könnten also sehr wohl auf dem gleichen Mechanismus beruhen. Das Problem wird von Hadorn (1966) im Zusammenhang mit Heteromorphosen und Phänokopierung des homoiotischen Mutationstyps eingehend diskutiert.
Hadorn (1966) hat neuerdings eine interessante Hypothese zur Erklärung der Transdetermination vorgeschlagen. Nach dieser ‘Dilutionshypothese’ werden in den Kulturen die im Ausgangsblastem angereicherten Träger der Determination durch Zellteilungen verdünnt. Eine Störung im Gleichgewicht zwischen der Proliferationsdynamik und der Neusynthese von Determinationsträgern führt somit zu neuen Determinationszuständen. Die kritische untere Konzentration der prae-existierenden Determinationsträger könnte die Transdetermination verursachen, wobei irgendwelche Komponenten des nun veränderten Stoffin-ventars ganze Gengruppen aktivieren oder inaktivieren würden.
Diese Hypothese stützt sich im wesentlichen auf die beobachtete hohe Korrelation zwischen Proliferationsleistung und Transdetermination. Allerdings bleibt die Möglichkeit vorläufig noch offen, dass auch Zellen, die sich nicht im Replikationszyklus befinden, neue Determinationszustände erLängen können.
V. ZUSAMMENFASSUNG
Je zwei genetisch verschieden markierte Bein-Imaginalscheiben aus verpuppungsreifen Larven wurden mechanisch desintegriert und zu einem Kombinat vermischt. Die Zellaggregate implantierten wir in larvale Wirte und prüften sie auf ihre Differenzierungsleistungen nach der Metamorphose. In sämtlichen Beinteilen fanden sich Mosaike.
In Kombinaten aus einer Bein-und einer Flügelscheibe trennen sich die Zellen der beiden Spender vollständig, so dass keine chimärischen Muster gebildet werden können.
Nach Kombination zweier Beinscheibenfragmente, wobei der zentrale Teil einer Scheibe mit dem peripheren Teil des genetisch verschieden markierten Partners vermischt wurde, treten nur Mosaike im Schnittgebiet auf, das auf Grund des Anlageplanes zu Tarsus und Tibia determiniert ist. Somit behalten die Zellen der Beinscheibe ihre arealspezifischen Determinationsqualitäten auch nach Desintegration und Vermischung bei.
Die homonomen Kombinate aus zwei genetisch verschieden markierten Beinscheiben liefern nach der Metamorphose zahlreiche ‘Mikromosaike’ zwischen Beinborste und zugehörigem ‘bract’. Diese chimärischen Muster werden als Ergebnis eines induktiven Einflusses der Beinborste auf benachbarte Epidermiszellen gedeutet.
Aus Bein-Flügelkombinaten entstehen nach Kultur im adulten Wirt und anschliessender Rücktransplantation in metamorphosierende Larven durch Transdetermination Bein-und Flügelmosaike. Mit den Determinationsqualitäten ändern sich auch gleichzeitig die Zellaffinitaten.
Die Transdetermination ist nicht als ein Induktions-oder Assimilations-prozess zu verstehen, da Transdeterminationen in Bein-Flügelkombinaten mit denselben Frequenzen auftreten wie in einzeln desintegrierten Bein-bzw. Flügel-scheiben.
Das Ausmass der Proliferation im adulten Wirt ist abhängig von der Kulturdauer, vom Genotyp des Implantates und vom Verletzungsgrad der kultivierten Imaginalscheiben.
Die Bildung allotypischer Elemente ist mit der Proliferationsleistung positiv korreliert. Dabei ist nicht die Kulturdauer im adulten Wirt massgebend für die Transdeterminationen, sondern das Wachstum.
Die Resultate werden im Hinblick auf das Determinationsproblem dis-kutiert.
ACKNOWLEDGEMENTS
Meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr E. Hadorn, möchte ich für die Anregung und Leitung dieser Arbeit sehr herzlich danken. Herrn Dr R. Nöthiger bin ich für die Einführung in die Versuchstechnik sowie für die kritische Durchsicht des Manuskriptes zu aufrichtigem Dank verpflichtet. Ich danke auch meinen Kollegen, Dr A. Garcia-Bellido, Dr W. Gehring, G. Schubiger, G. Mindek, H. Wildermuth und A. Dübendorfer für Diskussionsbeiträge und für die Erlaubnis zum Zitieren unveröffentlichter Ergebnisse.