ABSTRACT
As shown by fragmentation experiments the antenna imaginai disc of a late third instar larva of Drosophila melanogaster is a mosaic of determined cells.
Discs and fragments of discs proliferate when transplanted into young larval or adult hosts and produce their own type of cells (cell heredity). This leads to the formation of duplicate structures. Only a certain proportion of the implanted fragments regenerate other regions of the disc.
After proliferation the enlarged organ rudiments form two organs of approximately normal size instead of one oversized organ (homonomous arealization).
By serial transplantations into adult flies imaginal discs can be cultured indefinitely. The cells divide but do not differentiate. The process of differentiation can be initiated by retransplantation into a larva.
In such cultures antenna discs not only give rise to antenna structures (autotypic elements) but also to elements which are normally formed by the wing, leg, labial and genital discs (allotypic differentiations).
The allotypic elements originate from certain determined autotypic cells by a change in determination (transdetermination) (cf. Hadorn, 1965 b). Thus, cells of the third segment of the antenna and arista give rise to tarsal structures.
The process of transdetermination can take place in the adult as well as in the larval host. It is probable that transdetermination occurs only after cell divisions.
Autotypic structures can also be produced by a region-specific trans-determination; that is, from other anlage systems of the same disc.
Antenna discs can form leg structures and vice versa. Transdetermination is therefore a reversible process.
Treatment of antenna discs with inhibitors of RNA and DNA synthesis produces a characteristic pattern of damage. Most severely reduced is the palpus anlage.
The problem of determination is discussed.
I. EINLEITUNG
Die Imaginalscheiben von Drosophila sind ein ausserordentlich günstiges Objekt für das Studium von Determinations-und Differenzierungsprozessen. Die einzelnen Epidermiszellen bilden eine Vielfalt von Chitinstrukturen, die in charakteristischen Mustern angeordnet sind und ein genaues Zuordnen zu bestimmten Organen und Organteilen ermöglichen. Da Borsten, Sockel und Härchen (Trichome) je aus einer einzelnen Epidermiszelle entstehen, kann selbst die Differenzierungsleistung der Einzelzelle untersucht werden. Bei Drosophila steht uns ausserdem eine reiche Auswahl an Markierungsgenen und Mutanten, die in Determinations-und Differenzierungsvorgänge eingreifen, zur Verfügung.
Die Differenzierungsleistung von Imaginalscheiben und Scheibenfragmenten kann im Transplantationsexperiment geprüft werden (vergl. die verschiedenen Arbeiten von Hadorn und Mitarbeitern). Dissoziations-und Reaggrega-tionsversuche geben über die Leistungen der Einzelzelle Aufschluss (Hadorn, Anders & Ursprung, 1959; Ursprung & Hadorn, 1962; Nöthiger, 1964). Ferner können Zellpopulationen aus Imaginalscheiben im Abdomen adulter Fliegen in Dauerkultur gehalten werden (Hadorn, 1963, 1964, 1965,a b, 1966), und neuerdings ist auch die Kultur in vitro in begrenztem Masse gelungen (vergl. I. Schneider, 1964).
Nach Transplantation in gleichalterige Wirte zeigen Scheibenfragmente aus verpuppungsreifen Spenderlarven eine Mosaikentwicklung. In Fragmen-tierungsversuchen oder durch Defektsetzung mit UV können die verschiedenen Organanlagen innerhalb der Scheibe lokalisiert werden. Solche Anlagepläne sind für die männliche und weibliche Genitalscheibe (Hadorn & Gloor, 1946; Hadorn, Bertani & Gallera, 1949; Ursprung, 1957, 1959) sowie für die Flögel-scheibe (Hadorn & Buck, 1962) erarbeitet worden. In Dissoziationsversuchen konnte gezeigt werden, dass kleinste Zellgruppen, möglicherweise auch Einzelzellen, sich in einer fremden Umgebung autonom differenzieren (Nöthiger, 1964). Dies führt zu der berechtigten Annahme, dass die Einzelzelle in diesen Blastemen determiniert ist. Steht einem Scheibenfragment nach Transplantation in einen jüngeren Wirt Zeit zum Wachstum zur Verfügung, so zeigt es Restitutionsleistungen (Vogt, 1946a; Hadorn & Chen, 1956; Ursprung, 1959; L ü önd, 1961). Die Dauer der Proliferation kann durch Implantation in Adult-wirte, wo die Scheiben wachsen, ohne sich zu differenzieren, beliebig ausgedehnt werden (Hadorn, 1963). Die Differenzierung kann durch Rücktransplantation in einen Larvalwirt, mit dem das Implantat die Metamorphose durchläuft, jederzeit eingeleitet werden. Ausser regenerativen Mehrfachbildungen treten in solchen Proliferationsversuchen Strukturelemente auf, die der prospektiven Bedeutung des kultiviertenBlastems nicht entsprechen. Solchebedeutungsfremde (allotypische) Strukturelemente wurden zuerst von Schläpfer (1963) und Hadorn (1963) gefunden. Blasteme der Augenantennenscheibe vermögen beispielsweise Flügelteile zu bilden. Hadorn (1963) erbrachte den Nachweis, dass allotypische Elemente auch nach verlängertem Aufenthalt im Larvalwirt auftreten.
In der vorliegenden Arbeit wird versucht, einen Beitrag zum Problem der Determination zu leisten. Im Mittelpunkt stehen die vom kultivierten Scheiben-blastem gebildeten allotypischen Elemente. Wir befassen uns mit der Frage ihrer Herkunft, den Gesetzmässigkeiten ihres Auftretens und den möglichen Ur-sachen ihrer Entstehung. Dazu musste zuerst der Determinationszustand des ursprünglichen Blastems und die normale Differenzierungsleistung der Scheiben nach Proliferation untersucht werden. Als Ausgangsmaterial wählten wir die Antennenscheibe, weil diese von der homoiotischen Mutation aristapedia (ssa) betroffen wird, die zur Bildung eines Fusses anstelle einer Arista führt (Balkaschina, 1929), was einer allotypischen Differenzierung entspricht. Die Befunde an homoiotischen Mutationen können im Zusammenhang mit den Ergebnissen unserer Experimente diskutiert werden, da sie ebenfalls die Déterminät ions vorgänge betreffen.
II. MATERIAL UND METHODE
Transplantation
Die Imaginalscheiben werden in einem Tropfen Insekten-Ringerlösung aus der Spenderlarve herausseziert und nach der von Ephrussi & Beadle (1936) entwickelten Technik in die Leibeshöhle des Larval-oder Adultwirtes implantiert. Als Spender wurden stets verpuppungsreife Larven verwendet, als Wirte Larven des frühen resp. späten 3. Stadiums (72–80 h, bzw. 96–100 h nach Eiablage). Ais Adultwirte dienten eintägige weibliche Fliegen. Die Scheiben verblieben nie länger als eine Stunde in der Ringerlösung. Die Mortalität betrug bei den operierten Larven 0–30%, bei Fliegen blieb sie stets unter 2%. Zur Fragmentation der Scheiben wurden feine Wolframnadeln verwendet. Die metamorphosierten Implantate wurden in einem Tropfen Ringerlösung aus dem Abdomen der Wirtsfliege herausgenommen und direkt in Faur’sche Lösung übergeführt. Dann wurden die einzelnen Chitinblasen mit Wolfram-nadeln freipräpariert und unter dem Deckglas leicht gepresst. Solche Dauer-paäparate halten jahrelang.
Zur sicheren Unterscheidung zwischen Wirts-und Spendergeweben wurden die Markierungsgene yellow (y, 1 – 0,0), ebony (e, 3 – 70,7) und multiple wing hairs (mwh, 3 – 28,8 links von ‘sepia’) verwendet. Die Farbgene y und e, die eine gelbe bzw. schwarze Körperfarbe erzeugen, genügen allein den Anforderungen nicht ganz, da y einen leichten Grad von Nichtautonomie zeigt (vergl. Ursprung & Hadorn, 1962). Deshalb kombinierten wir diese Farbgene mit dem morphologischen Markierer mwh, der die Trichome der ganzen Körperoberfläche modifiziert, die Borsten aber nicht beeinflusst (Di Pasquale, 1952; Peyer & Hadorn, 1966).1 Die Kombination y Spender in e mwh Wirt erwies sich als die günstigste. Aile Stämme wurden bei 25°C auf Standardfutter (Mais, Zucker, Agar, Hefe) gehalten.
Dauerkultur in vivo
Für die Dauerkultur von Imaginalscheiben in vivo wurde die von Hadorn (1963) ausgearbeitete Methode in leicht veränderter Form angewendet: Die Scheiben wurden aus verpuppungsreifen y Larven herausseziert und ins Abdomen von eintägigen e mwh Fliegen (♀) implantiert. In der H ä molymphe des Wirtes, die als Nährmedium dient, wächst das Implantat ohne sich zu differenzieren. Der larvale Zustand des Blastems bleibt also erhalten. Nach 14 Tagen wird das Implantat wieder herausgenommen und in einen neuen Adultwirt (2. Transfergeneration) übertragen. Auf diese Weise können Imaginalscheiben jahrelang in Kultur gehalten werden.
Bei jedem Transfer in einen neuen Adultwirt wird ein Fragment des Implantates auf seine Differenzierungsleistungen geprüft, indem es in eine e mwh Larve des frühen dritten Stadiums transplantiert wird. Mit der Wirtslarve durchläuft das Implantat die Metamorphose und differenziert sich. Proliferiert ein Implantat im Adultwirt so stark, dass es in zahlreiche Fragmente aufgeteilt werden muss, so wird das Material auf mehrere Adultund Larvalwirte verteilt. Von einer Kultur lassen sich dann mehrere Subkulturen abzweigen, wie dies z.B. im ‘Stammbaum’ (Text-fig. 8) dargestellt ist. In unseren Versuchen wurde stets das gesamte Zellmaterial weiter geführt.
Herstellung von Kombinaten
Für die Herstellung von Kombinaten wurde die von Nöthiger (1964) entwickelte Technik angewendet, bei der die zu kombinierenden Scheiben, die genetisch markiert sind, mit zwei feinen Wolframnadeln mechanisch durchmischt werden, bis ein homogener Gewebeklumpen entsteht. Der Dissoziations-grad ist bei dieser Methode nicht sehr gross, doch führt sie mit genügender Häufigkeit zum Einbau einzelner Zellen oder Zellgruppen in Teile des Partner-blastems. In solchen Kombinaten tritt ein starkes Regenerationswachstum ein.
III. ERGEBNISSE
1. Die prospektive Bedeutung der Antennenscheibe
Die Imaginalanlagen des Fliegenkopfes bestehen aus einem Paar Augen-Antennenscheiben, die über den Hirnhemisphären der Larve liegen und in der Metamorphose je eine Hälfte des Kopfes bilden. Der hintere Scheibenabschnitt (Text-fig. 1), die Augenanlage, liefert die halbe Kopfkapsel mit einem Facetten-auge. Aus dem frontal gelegenen Antennenteil, der mit der Augenscheibe verwachsen ist, entstehen die unterhalb der Frontalnaht gelegenen Strukturen, nämlich die Praefrons, die Antenne, die ‘Rostralhaut’, der Maxiliarpalpus und die Lacinia (Tafel 1, Fig. A, B). Der Clypeus (Text-fig. 2), das darunterliegende Cibarium sowie das Labrum entstehen nach Befunden bei Calliphora (Schoeller, 1964) aus einer paarigen Gruppe imaginaler Zellen auf dem Clypeo-Labrum der Larve. Die distalen Teile des Rössels werden von der ebenfalls paarigen Labialscheibe gebildet (Wildermuth & Hadorn, 1965).
Lokalisation der Organanlagen in der Antennenscheibe und im angren-zenden Teil der Augenscheibe (verpuppungsreife Larve). AS = Antennenscheibe, Au = Augenscheibe, P = Palpus, A = Antenne, Ar = Arista, Pt = Ptilinum, Vi = Vibrissen.
Prospektive Bedeutung der Antennenscheibe. (a) Vorderseite, (b) Hin-terseite des Kopfes. Die Derivate der Antennenscheibe liegen im punktierten Bereich. AI–III = 1–3. Antennenglied, Ar = Arista, C = Clypeus, FN = Frontal-naht, L = Lacinia, Lb = Labrum, O = Teil des Maxillarsegmentes mit ‘Occipital-sensillen’, P = Palpus, PR = Praefrons, R = Rostralhaut, V = Vibrissen.
Prospektive Bedeutung der Antennenscheibe. (a) Vorderseite, (b) Hin-terseite des Kopfes. Die Derivate der Antennenscheibe liegen im punktierten Bereich. AI–III = 1–3. Antennenglied, Ar = Arista, C = Clypeus, FN = Frontal-naht, L = Lacinia, Lb = Labrum, O = Teil des Maxillarsegmentes mit ‘Occipital-sensillen’, P = Palpus, PR = Praefrons, R = Rostralhaut, V = Vibrissen.
Die prospektive Bedeutung der Antennenscheibe wurde durch Transplantation von Ganzscheiben (G in Text-fig. 3) aus verpuppungsreifen Larven in gleichalterige Wirte untersucht. Ein solches metamorphosiertes Transplantai ist in Tafel 1, Fig. C wiedergegeben. Da der Ausstülpungsprozess an der isolierten Imaginalscheibe meist unterbleibt, sind die Borsten gegen das Innere der Chitinblasen gerichtet; die Ausbildung der Strukturelemente ist jedoch vóllig normal wie in situ.
Bezeichnung der Fragmente (punktiert). G = Ganzscheibe, V = Vor-derhälfte, H = Hinterhälfte, G 4-K = Ganzscheibe + Rand der Augenscheibe, h = hinteres Drittel der Antennenscheibe, Au = Augenscheibe.
Im folgenden werden die einzelnen Elemente der Antennenscheibe kurz charakterisiert und die morphologischen Merkmale, die zu ihrer Identifikation in den Transplantaten dienten, aufgeführt. Die Bezeichnungen wurden von Ferris (1950), Hertweck (1931) und Snodgrass (1935) übernommen.
Fig. A. Antenne in situ. A I-III= 1. – 3. Antennenglied, Ar = Arista, S = Sacculus.
Fig. B. Maxillarpalpus in situ. L = Lacinia, R = Rostralhaut, B = Borste, T = Trichom.
Fig. C. Metamorphosiertes Transplantat einer Antennenscheibe. A I-III = 1. – 3. Antennen-glied, Ar = Arista, S = Sacculus, Pr = Praefrons, P = Palpus.
Fig. D. Palpus-Doppelbildung.
Fig. E. Unvollständige Trennung der beiden Palpusblasen.
Fig. A. Antenne in situ. A I-III= 1. – 3. Antennenglied, Ar = Arista, S = Sacculus.
Fig. B. Maxillarpalpus in situ. L = Lacinia, R = Rostralhaut, B = Borste, T = Trichom.
Fig. C. Metamorphosiertes Transplantat einer Antennenscheibe. A I-III = 1. – 3. Antennen-glied, Ar = Arista, S = Sacculus, Pr = Praefrons, P = Palpus.
Fig. D. Palpus-Doppelbildung.
Fig. E. Unvollständige Trennung der beiden Palpusblasen.
Die Praefrons (Tafel 1, Fig. C; Text-fig. 2) bedeckt die Kopfkapsel unterhalb der Frontalnaht. Dort grenzt sie an die Stirnblase (Ptilinum), die nach dem Schlüpfen der Fliege ins Innere des Kopfes zurückgezogen wird. Die Praefrons wird von zwei runden Öffnungen durchsetzt, in welche die beiden Antennen eingelenkt sind. Die Chitinkutikula ist bräunlich pigmentiert und mit feinen, langen Härchen (Trichomen) dicht besetzt. An der Kopfunterseite geht die Praefrons ins Rostrum, den proximalen Abschnitt des Rüssels, über.
Das 1. Antennenglied (AI in Tafel 1, Fig. A, C) ist ein schmaler Ring, der im Mittel fünf leicht gerillte Borsten trägt und in der runden Öffnung der Praefrons sitzt. Seine Behaarung und Pigmentierung ist ähnlich wie diejenige derPraefrons.
Das 2. Antennenglied (A II in Tafel 1, Fig. A, C) ist intensiv braungefärbt und mit durchschnittlich 25 Borsten besetzt, die deutliche Längsrillen aufweisen. Die Borsten auf der Oberseite variieren stark in der Grösse; auf der Unterseite bilden sie eine Reihe kurzer, dicker ‘Zahnborsten’. Die Trichome stehen in Gruppen beisammen. Im Innern dieses Segmentes liegt das Johnstonsche Organ, mit dem anscheinend die spezialisierten Strukturen des Gelenkes zum 3. Antennenglied in Beziehung stehen. Das Gelenk ist tief ins 2. Glied eingesenkt. Um die zentrale Öffnung sind einige Reihen von kleinen Chitinstiftchen konzentrisch angeordnet, die von aussen wie Körnchen aussehen. Daran schliesst ein Areal von polygonalen Feldern mit sklerotisierten Kanten.
Das kolbenförmige 3. Antennenglied Q4III in Tafel 1, Fig. A, C) zeigt eine schwache Graufärbung und ist von Härchen und Sensillen bedeckt. Im Gegensatz zu den Härchen besitzen die Sensillen einen Basalring, der jedoch viel schwächer ausgebildet ist als bei den Borsten. Die zugespitzten Sensilla trichodea lassen sich von den stumpfen Zapfen der Sensilla basiconica unterscheiden. Die Härchen sind an ihrer Basis verbreitert und in der Nähe des Gelenkes zum 2. Glied kammartig aufgereiht. Im Gelenk linden sich ähnliche polygonale Strukturen wie auf dem 2. Glied. Im Innern des 3. Gliedes liegt ein traubenförmiges, chitinisiertes Sinnesorgan, das als Sacculus (S in Tafel 1, Fig. A, C) bezeichnet wird. Ferner trözägt dieses Glied die Arista (Ar in Tafel 1, Fig. A, C), die auf einem ‘Basalzylinder’ steht und lange seitliche Haare aufweist. Im Transplantai können auch einzelne Haare neben der Arista auf dem 3. Glied stehen, oder die Ausstülpung der Arista kann unterbleiben, so dass statt einer Arista ein Büschel von Haaren auf dem 3. Glied steht. Die Mutation mwh (S. 79), die nur die Trichome modifiziert und die Borsten nicht beeinflusst, verändert auch die Haare der Arista (Peyer & Hadorn, 1966). Diese sind somit den Trichomenhomolog. Umgekehrt treten in einer Zellkultur, die keine Borsten, wohl aber Trichome zu bilden vermag (Hadorn, 1965 a), auch normale Aristen auf. Die Arista ist somit keine Borste, sondern ein mit Trichomen besetzter Antennenteil.
Als Rostralhaut (R in Tafel 1, Fig. B, Text-fig. 2) bezeichnen wir denjenigen Teil des Integumentes, welcher das Rostrum, den proximalen Rüsselabschnitt zwischen dem Unterrand der Praefrons und der Ansatzstelle der Palpen bedeckt. Der Clypeus und die darunter liegenden Areale sind davon ausgenommen. Die Rostralhaut bedeckt auch die Hinterseite des Rostrums und reicht bis gegen das Foramen occipitale. Sie ist von charakteristischen Trichomen bedeckt, und an der Ansatzstelle der Palpen finden sich einige Sensillen.
Der Maxiliarpalpus, im folgenden einfach als Palpus bezeichnet, steht seitlich am Rostrum (P in Tafel 1, Fig. B, Text-fig. 2) und ist mit kräftigen Trichomen und Sensilla basiconica besetzt, die denjenigen des 3. Antennengliedes sehr ähnlich sind. Die Sensilla trichodea fehlen jedoch. Die Borsten sind schlank und variieren stark in der Grösse. An der Basis des Palpus inseriert ein Chitinstab (L in Tafel 1, Fig. B), der an der Spitze mit Härchen besetzt ist und als Lacinia bezeichnet wird (Ferris, 1950).
Ausserdem finden wir im Transplantat angrenzend an die Rostralhaut eine Chitinspange mit zwei typischen Sensillen, die in situ seitlich des Foramen occipitale stehen. Wir bezeichnen sie im folgenden als ‘Occipitalsensillen’ (O in Text-fig. 2). Die Chitinspange ist meist stark deformiert. Diese Strukturen des Hinterhauptes gehören nach Ferris (1950) zusammen mit Palpus und Lacinia zum Maxillarsegment.
Die Kopfbereiche, die aus der Antennenscheibe hervorgehen, sind in Text-fig. 2 dargestellt. Die quantitativen Differenzierungsleistungen transplantierter Ganzscheiben sind der Tab. 1 zu entnehmen. Die Borstenzahlen in den Transplantaten stimmen für das 1. und 2. Antennenglied mit den Werten in situ überein. Eine stärkere Abweichung ergibt sich jedoch beim Palpus, der im Transplantat weniger Borsten ausbildet. Dies konnte darauf beruhen, dass die Palpusanlage, die an der Spitze der Scheibe lokalisiert ist (vergl. S. 84), beim Loslösen der Scheibe vom Mundhaken der Larve oft verletzt wird. Wir werden jedoch zeigen, dass auch nach Proliferation keine Erhöhung der Borstenzahl auftritt, sondern ein zweiter Palpus gebildet wird. Eine Reduktion der Borstenzahl in den Transplantaten wurde auch bei Genitalund Flügelscheiben festgestellt (Hadorn et al. 1949; Hadorn & Buck, 1962).
Differ enzierungsleistungen transplantierter Antennenscheiben und Scheibenhälften aus verpuppungsreifen Larven in Wirten gleichen Alters.

Als zusätzliche Bildungen treten in den Transplantaten Borsten auf dem 3. Antennenglied auf, die in situ nie oder nur sehr selten gefunden werden. Solche ‘Adventivborsten′ wurden schon von Loosli (1959) bei der Halteren-scheibe und von Lüönd (1961) bei der Genitalscheibe beschrieben. In unseren Transplantaten treten diese Adventivborsten nur sporadisch auf. Sie zeigen eine ähnliche Morphologie wie Palpusborsten, doch tritt dieser Borstentyp auch in andern Körperregionen auf. Dass es sich nicht um verschleppte Palpuszellen handeln kann, geht daraus hervor, dass die Adventivborsten auch in Transplantaten von hinteren Scheibenhalften, die kein Palpusmaterial enthalten (S. 84), gebildet werden. Wir werden noch im Zusammenhang mit den allotypischen Differenzierungen auf dieses Phänomen zurückkommen (S. 95).
2. Lokalisation der Organanlagen und Determinationszustand des Blastems
Die räumliche Anordnung der Organanlagen in der Antennenscheibe wurde von Vogt (1946a, b) in Fragmentierungsexperimenten und histologischen Untersuchungen ermittelt. Dabei wurden allerdings nur diejenigen Strukturelemente berücksichtigt, die im Transplantat leicht zu identifizieren sind. Wir untersuchten daher die Lokalisation der Organanlagen in denjenigen Scheibenfragmenten, die als Ausgangsmaterial für die weiteren Versuche dienten, in allen für uns wichtigen morphologischen Einzelheiten.
Dazu wurden die Scheiben verpuppungsreifer Spenderlarven in eine Vorderund Hinterhälfte (V und H in Text-fig. 3) aufgeteilt und getrennt in gleichalterige Wirte implantiert. Die Ergebnisse sind in Tab. 1 und 2 zusammengefasst. Der Schnitt wurde durch das Zentrum der Scheibe gelegt, so dass die knopfartige Arista-Anlage etwa gleich häufig in die Vorderwie in die Hinterhälfte gelangt. Die Praefrons entsteht grösstenteils aus der Vorderhälfte; in den Hinterhälften-Implantaten findet sich nur ein kleines Areal in der Nähe der Vibrissen (Text-fig. 2). Durch die Fragmentation werden beiden Scheibenhàlften Anlage-bereiche der drei Antennenglieder zugesteilt. Die Rostralhaut entsteht fast ganz aus der Vorderhälfte. Die Anlagen des Palpus und der Lacina sind eben-falls in der Vorderhälfte lokalisiert. Nur in 2 von 27 Hinterhälften-Implantaten trat ein Palpus auf. Auch die ‘Occipitalsensillen’ stammen aus der Vorder-hälfte und vereinigen sich anscheinend sekundär mit dem Occiput, dessen Anlage in der Augenscheibe lokalisiert ist. Die verschiedenen Organe können also bestimmten Regionen der Scheibe zugeordnet werden.
Vergleich der Differenzierungsleistung transplantierter Scheibenhàlften aus verpuppungsreifen Larven in Wirten gleichen Alters

In einem weiteren Versuch wurden die angrenzenden Anlagen in der Augen-scheibe lokalisiert. Dazu wurde der Rand der Augenscheibe mittransplantiert (Fragment G+R in Text-fig. 3). Unmittelbar an die Antennenscheibe grenzen die Anlagen des Ptilinums und der Vibrissen, wie dies auch aus der Kopfmor-phologie zu erwarten ist (Text-fig. 2). Kleine Ptilinumareale und einzelne Vibrissenborsten konnen auch aus Hinterhàlften der Antennenscheibe ent-stehen. Will man dies vermeiden, so muss man den Schnitt ein wenig in die Antennenscheibe hineinverlegen. An die Anlage des Ptilinums schliesst die-jenige der Frons und der Ocellenregion an. Das Occiput und kleine Facetten-areale treten in den Transplantaten selten auf; sie sind weiter proximal in der Augenscheibe lokalisiert. In Text-fig. 1 sind die fur die nachfolgenden Versuche wichtigen Organanlagen eingezeichnet.
Auch innerhalb der Organanlagen sind bestimmte Qualitäten bereits determiniert. So entstehen z. B. die ‘Zahnborsten’ auf dem 2. Antennenglied stets aus der Vorderhälfte und nie aus der Hinterhälfte. Diese bildet nur die schlanken Borsten. Innerhalb des 3. Gliedes sind die Qualitäten ebenfalls unterschiedlich verteilt, so dass der Sacculus nur von der Vorderhälfte gebildet werden kann.
Die Scheibe ist also in diesem Stadium mosaikartig determiniert
Es lassen sich nicht nur Organanlagen, sondern auch bestimmte Strukturelemente innerhalb der Organanlagen lokalisieren.
3. Differenzierungsleistungen von Scheibenfragmenten nach Proliferation in jungen Larval-und Adultwirten
Nachdem wir gezeigt haben, dass Antennenscheiben verpuppungsreifer Larven mosaikartig determiniert sind, stellt sich nun die Frage, ob Scheiben-fragmente in der Lage sind zu regulieren oder fehlende Elemente zu ergänzen, falls ihnen Zeit zum Wachstum gegeben wird. Dazu wurden die Scheiben-halften (V und H in Text-fig. 3) aus verpuppungsreifen Spendern in Wirte des friihen 3. Larvenstadiums (72–80 h) implantiert. Die Ergebnisse sind in Tab. 3 zusammengefasst.
Die Hinterhalften, die kein Palpusmaterial enthalten, kdnnen auch nach Proliferation im jüngeren Wirt den Palpus nicht ergänzen, er fehlt in alien 30 Transplantaten. Damit ist gleichzeitig das Ergebnis der Lokalisations-versuche, wonach wir die Palpusanlage der Vorderhälfte zuordneten, bestätigt. Die Regeneration von Strukturelementen aus Fragmenten einer Organanlage kann am 2. und 3. Antennenglied untersucht werden. Die Hinterhälfte liefert im verpuppungsreifen Larvalwirt denjenigen Teil des 2. Antennengliedes, der lange, schlanke Borsten trägt, aber keine Zahnborsten. Nach Proliferation im j ungen Larvalwirt vermochten nur 5 von 30 Implantaten Zahnborsten zu regenerieren. Die Wachstumsleistung lässt sich anhand der Borstenzahl schätzen, die im Durchschnitt signifikant hoher ist als nach Implantation in alte Wirtslarven (i-Test: p < 0,005). Es kommt also zu einer Vermehrung der bestehenden Elemente, der schlanken Borsten, während die Zahnborsten nur selten regeneriert werden. Noch seltener, namlich nur in 2 von 30 Fallen (7 %), wurde der Sacculus des 3. Antennengliedes von der Hinterhälfte gebildet.
Die Vorderhälfte, welche das gesamte Palpusmaterial enthalt, liefert nach Proliferation häufig einen zusätzlichen Palpus. Eine solche Doppelbildung ist in Tafel 1, Fig. D dargestellt. Wir werden dieses Phanomen im folgenden noch genauer untersuchen (S. 88). Wir wollen jedoch festhalten, dass auch die Vorder-hälften nach Proliferation eine Vermehrung derjenigen Elemente zeigen, deren Anlagen im urspriinglichen Fragment enthalten sind. Eine echte Regulation zum harmonisch verkleinerten Ganzen lässt sich nicht nachweisen.
Durch Implantation in Adultwirte kann die Wachstumsphase verlängert werden. Die Scheiben werden für 14 d in eintägige Weibchen implantiert, wo sie wachsen, ohne sich zu differenzieren. Anschliessend werden sie in eine Larve (72-80 h) rücktransplantiert, mit der sie die Metamorphose durchlaufen. In den Vorderhälften treten nach Proliferation im Adultmilieu ebenfalls Palpus-doppelbildungen auf. Bei den Hinterhalften fragen wir wiederum, ob Zahn-borsten, Sacculus und Palpus regeneriert werden. Von den 23 Implantaten bildeten 5 Zahnborsten aus, 7 einen oder mehrere Sacculi, und 3 Implantate zeigten Palpen. Sacculus und Palpus sind also häufiger aufgetreten als nach Proliferation im Larvalwirt. Die prozentuale Häufigkeit des Sacculus ist von 7 % auf 30 % gestiegen, der Palpus trat im jungen Larvalwirt nie auf, im Adult-wirt in 13 % der Implantate.
Diese Befunde lassen die folgenden Erklärungsmöglichkeiten offen :
Die Organanlagen könnten raumlich so angeordnet sein, dass sie durch den Schnitt nicht vollständig getrennt werden. Die Hinterhälfte würde dann noch einige Zellen der Palpusanlage enthalten, die sich erst nach Proliferation manifestieren könnten.
Die morphogenetischen Potenzen für die Bildung eines bestimmten Organs könnten von einem ‘Feldzentrum’ aus gradientartig gegen den Scheiben-rand hin abnehmen, so dass jedes beliebige Scheibenfragment nach genügender Proliferation dieses Organ hervorbringen könnte.
Das Ergänzen eines Strukturelementes im Laufe der Proliferation konnte auf einer echten, regenerativen Neubildung beruhen.
Um zwischen diesen möglichkeiten zu entscheiden, versuchten wir zunachst durch Herstellung von Kombinaten (s. S. 79) aus Fragmenten von vier Scheiben ein moglichst starkes Wachstum zu erzielen. Um Fehler in der Blastem-zuteilung auszuschliessen, kombinierten wir nur das hintere Drittel (h in Text-fig. 3) von vier Antennenscheiben und implantierten es für 14 d in Adult-weibchen. Nach Rücktransplantation in junge Larven (80 h) konnten wir 12 solche Viererkombinate analysieren. In 6 Kombinaten fanden wir Palpen, in 4 Sacculi und in 3 Zahnborsten. Die 6 Kombinate, die keinen Palpus lie-ferten, zeigen, dass sich Fragmente isolieren lassen, die kein sich manifestie-rendes Palpusmaterial enthalten. Das Auftreten des Palpus in den andern Kombinaten ist somit als regenerative Neubildung zu deuten.
Wir überprüften die Richtigkeit dieser Interpretation an der grössten Imaginalscheibe von Drosophila, der Flügelscheibe, deren Anlageplan von Hadorn & Buck (1962) erarbeitet wórden ist. Wir wählten für unsere Versuche das proximale Scheibenfragment (Text-fig. 4), das nur Thoraxelemente liefert, während das distale Fragment den Flügel bildet. Einzelne Thoraxfragmente und Kombinate von je vier solchen Fragmenten wurden für 14 d in weibliche Fliegen implantiert, wo sie mindestens auf das Doppelte ihrer ursprünglichen Grosse heranwuchsen. Dann wurden sie in junge Larven (80 h) rücktrans-plantiert. Von den je 19 Implantaten, die von 95 Thoraxfragmenten stammen, bildete kein einziges Flügelstrukturen. Wir kbnnen daraus schliessen, dass die Anlagen von Flügel und Thorax innerhalb der Scheibe begrenzte Areale um-fassen, und daher durch Fragmentation getrennt werden kbnnen. Liefert ein solches Fragment nach Proliferation Strukturelemente eines andern Organs, so beruht dies auf einer Neubildung.
Bezeichnung der Fragmente bei der Flügelscheibe. D = Distales Fragment, P = Proximales Fragment.
Diese Befunde bestätigen also unsere Interpretation der Antennenscheiben-versuche: Scheibenfragmente zeigen nach Proliferation im jungen Larval-oder Adultwirt eine Vermehrung derjenigen Elemente, deren Anlage im ursprünglichen Fragment enthalten ist. Ausserdem treten in manchen Fällen regenerative Neubildungen auf.
4. Doppelbildungen
Bei Proliferationsversuchen mit Vorderhälften haben wir zum ersten Mal Palpus-Doppelbildungen gefunden (Tafel 1, Fig. D). Diese treten auch nach Implantation von Ganzscheiben in junge Larvalwirte (72–80 h) auf. Interes-santerweise unterbleibt die Verdopplung jedoch, wenn der Augenscheibenrand (G+R in Text-fig. 3) oder die ganze Augenscheibe (G+Au) mittransplantiert wird. Die prozentuale Häufigkeit der Palpusverdopplungen in den verschie-denen Fragmenten kann der Tab. 4 entnommen werden. In den Vorderhälften, in denem die Palpusanlage am stärksten isoliert ist, treten am meisten Doppel-bildungen auf. Die weit entfernt liegenden Anlagen der Augenscheibe scheinen Wachstum und Verdopplung des Palpus zu hemmen.
Prozentuale Häufigkeit der Palpus-Doppelbildungen in verschiedenen Scheibenfragmenten nach Proliferation in jungen Larvalwirten

Da Palpusverdopplungen auch nach Proliferation im Adultwirt auftreten, steht uns ein reiches Material aus verschiedenen Experimenten zur Verfügung, das wir qualitativ und quantitativ analysieren können. Als Ausgangsmaterial dienten Ganzscheiben und Vorderhälften, also Primordien, welche die ganze Palpusanlage enthalten. Diese Implantate konnten in jungen Larval-oder Adultwirten proliferieren und bildeten insgesamt 93 verdoppelte und 66 ein-fache Palpen. Ausser diesen beiden Typen findet man intéressante Über-gangsstadien, bei denen die Gliederung in zwei Blasen noch unvollständig ist (Tafel 1, Fig. E). In Text-fig. 5 sind die Frequenzen der Borstenzahlen für einfache (P0) und verdoppelte Palpen (P1 und P2) dargestellt, wobei der grds-sere der beiden Palpen willkürlich mit P1 bezeichnet wird. Das Frequenz-maximum für den grosseren Palpus liegt bei der Klasse mit 14–15 Borsten, dasjenige des kleineren liegt mit 10–11 Borsten nur wenig darunter. Diese Beobachtung lässt einen Rückschluss auf den Entstehungsmechanismus der Doppelbildung zu. Wenn die ursprüngliche Palpusanlage nach Erreichen ihrer Normalgrösse eine zweite Anlage ‘abschnüren’ würde, die dann sukzessive auf die Normalgrösse heranwachsen könnte, so müsste das Frequenzmaximum der kleineren Palpen (P2) bei den kleinsten Borstenzahlen liegen. Dies ist jedoch nicht der Fall, obschon 42 % der Palpen noch unverdoppelt sind. Die Palpus-anlage wächst vielmehr über ihre Normalgrösse hinaus und gliedert sich dann in zwei Palpen mit annähernd gleicher Borstenzahl. Diese Interpretation findet eine weitere Stütze in den Übergangsstadien (Tafel 1, Fig. E), in denen der Gliederungsprozess noch nicht vollstandig abgelaufen ist. Auch in diesen Fallen ist die Verteilung der Borsten auf die beiden Hälften annähernd gleich-mässig. Bei den unverdoppelten Palpen (Po) finden sich ausserdem Beispiele, bei denen die Aufspaltung trotz der hohen Borstenzahl vollstandig unterblieben ist. Solche ‘Riesenpalpen’ lassen oftmals eine bilateralsymmetrische Anord-nung der Borsten erkennen. Sie stellen jedoch Ausnahmefálle dar. Die Fre-quenzverteilungen in Text-fig. 5 lassen deutlich erkennen, dass die Borstenzahl im Wachstumsversuch nicht beliebig gesteigert werden kann. Wir müssen daher Faktoren postulieren, welche die Borstenzahl des Palpus regulieren. Die Aufgliederung einer vergrôsserten Anlage in zwei oder mehr vollständige Organe mit annähernd gleicher Borstenzahl bezeichnen wir als homonome Arealisation.
Borstenzahlen verdoppelter und einfacher Palpen. P1 = grösserer, P2 = kleinerer Palpus eines Paares, Po = einfache Palpen.
In den Proliferationsversuchen mit Ganzscheiben in Adultwirten traten neben Palpusverdopplungen auch Doppelbildungen der Antenne auf. Von den 62 Implantaten sind in 18 Fallen sowohl Palpus als auch Antenne verdoppelt, in 21 Fallen nur die Antenne und in 23 Fallen nur der Palpus. Daraus ist zu schliessen, dass der Verdopplung der Antenne diejenige des Palpus nicht vorausgehen muss. Die einzelnen Antennenglieder verdoppeln sich aber nicht unabhängig voneinander, wie aus Tab. 5 hervorgeht. Neben Fällen, wo alie Segmente verdoppelt sind, gibt es solche, in denen nur die distalen Glieder Doppelbildungen zeigen. In keinem Fall wurde jedoch beobachtet, dass die proximalen Segmente doppelt vorhanden wären und die distalen nur einfach. Wir können daraus schliessen, dass die Verdopplung von distal nach proximal fortschreitet, wie dies in Text-fig. 6 dargestellt ist. Zuerst wird das 3. Glied verdoppelt, während das 2. Glied vergrossert ist und symmetrisch zwei Gelenke für die beiden 3. Glieder bildet. In der nächsten Stufe sind auch zwei getrennte 2. Glieder ausgebildet, die mit einem gemeinsamen 1. Glied artikulieren. Dieses zeigt wiederum zwei symmetrische Gelenke, ist aber noch nicht gespalten. In der letzten Stufe linden wir zwei vollständige Antennen, die an der gemeinsamen Praefronsblase eingelenkt sind. Alie diese Verdopplungsstadien sind bilateral-symmetrisch.
Von distal nach proximal fortschreitende Verdopplung der Antenne (schematisch). X i—nr = 1–3. Antennenglied, Pr = Praefrons.
Bei einer Verdopplung des 3. Segmentes ist meist die Arista ebenfalls ver-doppelt. Es gibt aber auch Faile, in denen nur eine oder gar keine Arista vor-handen ist. Seltener fanden wir unverdoppelte 3. Antennenglieder mit zwei Aristae.
Fig. A. Bildung eines 2. und 3. Antennengliedes mit Arista in einem Palpus. A II, III = sekun-däres 2. und 3. Antennenglied, Ar = sekundäre Arista, P = Palpen.
Fig. B. Kleines Areal mit Zellen des 3. Antennengliedes (A in) in einem Palpus.
Fig. C. Isolierte Tarsalborste (B) auf dem 3. Antennenglied einer aristapedia-AntQnne. A in = 3. Antennenglied, T = Tarsus, N = Nebenschuppe.
Fig. D. Normaler Karyotyp einer weiblichen Antennenscheibenzelle nach einjàhriger Kulturdauer. Man erkennt die beiden V-formigen X-Chromosomen, die zwei Paar meta-zentrischen II. und III., sowie die beiden punktformigen IV. Chromosomen. Colchizin-behandlung.
Fig. A. Bildung eines 2. und 3. Antennengliedes mit Arista in einem Palpus. A II, III = sekun-däres 2. und 3. Antennenglied, Ar = sekundäre Arista, P = Palpen.
Fig. B. Kleines Areal mit Zellen des 3. Antennengliedes (A in) in einem Palpus.
Fig. C. Isolierte Tarsalborste (B) auf dem 3. Antennenglied einer aristapedia-AntQnne. A in = 3. Antennenglied, T = Tarsus, N = Nebenschuppe.
Fig. D. Normaler Karyotyp einer weiblichen Antennenscheibenzelle nach einjàhriger Kulturdauer. Man erkennt die beiden V-formigen X-Chromosomen, die zwei Paar meta-zentrischen II. und III., sowie die beiden punktformigen IV. Chromosomen. Colchizin-behandlung.
Die Befunde an der Antenne bestätigen somit unsere Auffassung, dass die Doppelbildungen durch Wachstum und Aufgliederung der Organanlagen (homonome Arealisation) entstehen.
5. Allotypische Differenzierungsleistungen
In den bisher besprochenen Experimenten haben wir festgestellt, dass Organanlagen nach Proliferation Doppelbildungen hervorbringen können. Da bei diesem Prozess die Determinationsqualität beibehalten wird, muss sie während der Proliferation reproduziert und auf das Tochterblastem übertragen werden. Es gibt aber auch Fälle, in denen die Determinationsqualität nicht identisch reproduziert wird. Wie auf S. 87 gezeigt wurde, können aus Scheiben-fragmenten auch regenerative Neubildungen hervorgehen. Ähnliche Neu-bildungen treten auch bei der Palpusverdopplung auf. Einer der beiden Palpen kann namlich eine Gruppe von Zellen des 3. Antennengliedes enthalten, die inselartig in die Palpusblase eingefügt sind (Tafel 2, Fig. B). Die Zugehôrigkeit dieser Zellen lässt sich anhand der Sensilla trichodea, die nur auf dem 3. Anten-nenglied vorkommen, bestimmen. Nach weiterer Proliferation kann von dieser Zellgruppe auch eine Arista und ein kleines 2. Antennenglied gebildet werden (Tafel 2, Fig. A). Die ursprüngliche Antenne befindet sich in normaler Lage und Ausbildung an der Praefrons. In Text-fig. 7 sind diese Verhältnisse sche-matisch dargestellt. Dass es sich dabei nicht um eine Verschleppung von Zellen handelt, geht daraus hervor, dass die reziproke Assoziation, ‘Palpusinsel’ im 3. Antennenglied, nie gefunden wurde. Wir müssen daher annehmen, dass diese Antennenzellen aus praesumptiven Palpuszellen hervorgegangen sind, wobei eine Ånderung der Determinationsqualität eingetreten ist. Wir bezeichnen diese Ånderung der Determinationsqualität als regionsspezifische Trans-determination (Hadorn, 1965 b). Die Frage allfälliger undeterminierter Reserve-zellen, aus denen das Antennenmaterial entstehen könnte, wird auf S. 101 diskutiert.
Schematische Darstellung der Palpusverdopplung und Bildung eines 3. Antennengliedes in einem Palpus, AI-III = 1. –3. Antennenglied, X III = neuge-bildetes 3. Glied, Pr = Praefrons, R = Rostralhaut, P = Palpus.
Auftreten der autotypischen Strukturelemente (2. und 3. Antennenglied sowie Palpus) in der Kultur E6. (Erklärung im Text.) ▹ = 2. Antennenglied, ○ = 3. Antennenglied, • = Palpus.
Neben Antennenscheibenelementen treten nach Aufenthalt im Adultwirt als weitere Neubildungen Flügel-und Beinstrukturen auf (Tafel 3, Fig. A und B). Solche regionsfremde Differenzierungsleistungen, die der prospektiven Bedeutung der Antennenscheibe nicht entsprechen, werden als allotypisch bezeichnet (Hadorn, 1965 a) und den autotypischen (bedeutungseigenen) Differenzierungen gegenübergestellt. Eine Übersicht über die allotypischen Strukturelemente, die nach einmaligem Aufenthalt von 7–23 d im Adultwirt aufgetreten sind, gibt Tab. 6. Es sind darin die Ergebnisse von 16 Experimenten mit insgesamt 220 Implantaten zusammengefasst. Am haufigsten linden wir die F/wge/spreite, namlich in 87% aller 54 Implantate, die überhaupt allo-typische Elemente hervorgebracht haben, und die Randborsten des Flügel-vorderrandes nahe an der Basis (basale Costa). Seltener kommen noch die Randborsten der Zweier-und Dreierreihe (Hadorn & Buck, 1962) sowie die Strukturen der Flügelbasis dazu. Die Thoraxelemente konnen unabhängig oder zusammen mit Flügelstrukturen auftreten. Unter den Bezwstrukturen ist der Tarsus weitaus am häufigsten vertreten. Kleinste Tarsusareale lassen sich anhand der sparlichen Behaarung und kleinen Schuppen (Tafel 2, Fig. C) die neben den Sockeln der Borsten stehen, leicht identifizieren. Diese Schuppen, die im Englischen als bracts bezeichnet werden, treten nur am Bein und an der Costa auf. Da aber die Costa-Areale neben den Borsten noch kräftige Haare (Trichome) tragen, lassen sie sich leicht von Beinstrukturen unterscheiden. Die proximalen Glieder des Beines treten nach einmaligem Aufenthalt im Adult-wirt nur selten auf. Nach längerer Dauerkultur in vivo wird das Inventar an allotypischen Elementen jedoch stark erweitert (S. 95).
Absolute und relative Häufigkeiten der verschiedenen allotypischen Strukturelemente nach einmaligem Aufenthalt von 7–23 d im Adultwirt

Fig. A. Allotypische Flügelstrukturen. S = Flügelspreite, R = Randborstenreihe.
Fig. B. Allotypischer Tarsus. K = Kralle, T = Tarsus, A in = 3. Antennenglied, Ar = Arista.
Fig. C. Allotypische weibliche Analplatten.
Fig. D. Allotypische Rüsselstrukturen. PT = Pseudotracheen des Labellums.
Eine Sonderstellung zwischen auto-und allotypischen Elementen nehmen die Derivate der Augenscheibe ein, da sie zum selben Scheibenkomplex gehbren. Um Fragmentierungsfehler auszuschliessen, berücksichtigen wir nur Implantate von Vorderhälften (VText-fig. 3). In den 149 Vorderhalftenimplantaten trat das Occiput 22 mal auf, die Vibrissen zweimal und das Ptilinum nur eirnnal.
Die allotypischen Strukturelemente stehen oft mit den autotypischen in direktem Kontakt. Sie zeigen auch den gleichen Genotyp wie die autotypischen Zellen (S. 98) und stammen also nicht etwa von Wirtszellen ab.
Da wir von einem mosaikartig determinierten Blastem ausgegangen sind, müssen die allotypischen Elemente durch eine Änderung der Determinations-qualität, eine regionsfremde (allotypische) Transdetermination, entstanden sein.
Die Frequenz für das Auftreten von allotypischen Differenzierungen hängt, wie wir noch zeigen werden (S. 102), von den Kulturbedingungen ab. In unsern 16 Experimenten sind in 54 von 220 Implantaten (25 %) allotypische Elemente aufgetreten, wenn man die regionsspezifischen Augenscheibenderivate nicht berücksichtigt. Die relative Häufigkeit der einzelnen Strukturelemente (f in Tab. 6) ist jedoch weitgehend konstant. Der f-Wert gibt uns folglich ein relatives Mass für die Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Transdetermination.
Nicht nur die Art der allotypischen Elemente, sondern auch deren Häufigkeit des Auftretens ist also gesetzmässig bestimmt und daher reproduzierbar.
6. Dauerkultur von Antennenscheibenmaterial in vivo
Nach der auf S. 79 beschriebenen Technik können Imaginalscheiben im Abdomen weiblicher Fliegen in Dauerkultur gehalten werden. Die meisten Scheiben wachsen im Adultwirt auf ein Vielfaches ihrer Grösse heran, so dass, ausgehend von einer Scheibe, eine Grösse Zahl von Subkulturen abgezweigt werden kann. Die Differenzierungsleistungen sind in zwei Grössen Kulturen (E6 und E8), die je auf eine weibliche Antennenscheibe zurückgehen, nach mehr als einjähriger Kulturdauer normal geblieben. Es fanden sich keine aberranten Muster, die regelmassig aufgetreten wären. Auch die Tendenz der Aufgliederung des Zellmaterials in Organe bestimmter Grösse (homonome Arealisation) bleibt erhalten. Exzessiv vergrösserte Organe treten nur als Ausnahmen auf. Abnormitäten, wie sie in den ‘anormotypischen Kulturen’ von Hadorn (1965 b) aufgetreten sind, konnten wir nicht feststellen. Dabei ist zu beachten, dass bei alien Dauerkulturen eine Selektion zugunsten der rasch proliferierenden Elemente wirksam ist, so dass sich abnorme Zellen nur dann halten können, wenn sie stark proliferieren. Eine Untersuchung der Chromosomen nach der von Lewis & Riles (1960) entwickelten Technik ergab, dass der Karyotyp in zwei Subkulturen von E6 und E8 nach mehr als einjähriger Kulturdauer normal geblieben war (Tafel 2, Fig. D). Die bei Dauerkultur von Wirbeltierzellen in vitro auftretenden Variationen der Chromosomenzahl (Davidson, 1964) liessen sich in diesen Kulturen nicht nachweisen. DieHamo-lymphe des Adultweibchens stellt offenbar ein ideales Kulturmedium dar.
Eine Übersicht über die Differenzierungsleistungen geben die Text-fig. 8 und 10. Ausgehend von einer Antennenscheibe tritt im Verlaufe der Transfer-generationen neben dem vollständigen autotypischen Inventar eine Vielfalt von allotypischen Strukturelementen auf. In Text-fig. 8 ist ein ‘Stammbaum’ für die wichtigsten autotypischen Elemente—Palpus, 2. und 3. Antennenglied— aufgezeichnet. Praefrons und 1. Antennenglied sind in manchen Implantaten schwierig zu identifizieren, weshalb wir sie in der Darstellung weggelassen haben. Nach 10 Transfergenerationen linden wir noch alie autotypischen Elemente, auch Praefrons und 1. Antennenglied. Eine Segregation, die zu einer andauernden Beschränkung der Differenzierungsleistung auf einzelne der erwahnten Grundelemente führen würde, ist nicht eingetreten. Palpus und Antenne kommen beispielsweise in alien Subkulturen nebeneinander vor. Wir versuchten daher von der 10. bis zur 20. Transfergeneration durch Frag-mentierung in kleinere Stücke die Antenne vom Palpus zu isolieren. Ausgehend von einer Subkultur (Text-fig. 9), die viel Antenne und wenig Palpus geliefert hatte (2. – 9. Transfergeneration), wurden die Linien 1, 2 und 3 abgezweigt und getrennt weitergeführt. In den Linien 1 und 2 trat der Palpus auf und ver-mehrte sich stark; die Linie 3 konnte jedoch als palpusfreie Antennenlinie bis zum 20. Transfer weitergeführt werden. Sie lieferte ausser den drei Antennen-gliedern noch Flügel-und Beinstrukturen, aber keine Palpen. Mit dieser Ver-suchsanordnung ist also eine Segregation der autotypischen Elemente möglich. Der reziproke Versuch, eine Palpuslinie, die keine Antennenteile mehr pro-duziert, zu isolieren, gelang nicht. Entweder gingen alle autotypischen Elemente ganz verloren, oder dann traten stets wieder Antennenteile auf. Dies bestatigt unseren Befund (S. 91), wonach die Palpusanlage nach Proliferation Antennen-teile zu bilden vermag. Diese Neubildungen maskieren die Segregation, die infolge der Fragmentierung eintritt.
Segregation der autotypischen Elemente in einer Subkultur von E8. 1 – 3 = isolierte Linien. 1 und 2 liefern alie autotypischen Elemente, 3 bildet nur die Antenne. ▹ =2. Antennenglied, ○ = 3. Antennenglied, • = Palpus.
Allotypische Elemente traten in den Dauerkulturen in grosser Zahl auf. In Tab. 7 sind die gefundenen Elemente aufgeführt. Die Liste ist noch unvoll-ständig, weil nicht alie gefundenen Strukturen identifiziert werden konnten und bei andauernder Kultur stets wieder neue Elemente auftreten. Von den Struk-turen, die normalerweise aus der Flüscheibe entstehen, konnten sämtliche nachgewiesen werden. Wir fanden auch aile Beinsegmente. Die Frage, welchem Beinpaar die gebildeten Elemente angehören, kann noch nicht abschliessend beantwortet werden. Sicher linden wir Vordertibien, die man an den in mehre-ren Transversalreihen angeordneten Borsten erkennen kann. Wahrscheinlich treten auch Teile von Mittelbeinen auf, doch steht der eindeutige Nachweis noch aus. Bei den Augenscheibenelementen fehlen nur die Facettenaugen. Auch Rμ sselstrukturen treten auf, nämlich die distalen Teile (Tafel 3, Fig. D) und das Cibarium mit den Reusenborsten, die in der Mundöffnung stehen. Als Derivate der weiblichen GewztaZscheibe linden wir schliesslich Analplatten (Tafel 3, Fig. C). Die allotypischen Elemente umfassen demnach fast den ganzen äussern Körper der Fliege, mit Ausnahme der Facettenaugen, der Halteren und des abdominalen Integumentes. Bei den ‘Adventivborsten’ des 3. Antennengliedes (vergl. S. 83) handelt es sich kaum um allotypische Strukturen, da sie im Gegensatz zu diesen auch nach direkter Implantation in gleichalterige, verpuppungsreife Wirte auftreten.
Flügel und Tarsus, die häufig aus dem Antennenmaterial entstehen, linden wir über den ganzen ‘Stammbaum’ (Text-fig. 10) verteilt. Eine solche Verteilung ist durch zwei Faktoren bedingt: 1. durch die hohe Frequenz der Neubildung aus autotypischem Material (Transdetermination) und 2. durch die Geschwin-digkeit des Wachstums, das zur Verbreitung des neugebildeten Elementes auf die Tochterimplantate führt. Der zweite Faktor wird bei denjenigen allo-typischen Elementen besonders deutlich, die im Transdeterminationsprozess nur selten begründet werden. Text-fig. 10 zeigt diese Verhältnisse beim Cibarium und bei der Analplatte. Das Cibarium tritt nur an zwei Stellen, die Analplatte nur an einer Stelle im ganzen ‘Stammbaum’ auf; an diesen Stellen jedoch gehäuft. Diese Verteilung kann nicht zufällig sein. Für die Analplatten genügt es, eine einmalige Transdetermination vor dem 9. Transfer und anschliessendes Wachstum anzunehmen. Beim Cibarium sind mindestens zwei unabhängige Transdeterminationen zu postulieren: eine vor dem 6. Transfer, aus der die 6 Implantate auf der linken Seite des Stammbaumes abgeleitet werden k ö onnen und eine zweite vor dem 9. Transfer, mit der sich die beiden Implantate rechts im Stammbaum erklären lassen.
Auftreten von allotypischen Strukturelementen in der Kultur E8. (Erklärung im Text.) ○= Tarsus, •= Fl ü gel, ▴= Cibarium, ▫= Analplatte.
Die Segregationsexperimente mit autotypischen Elementen (S. 94) haben gezeigt, dass die Blasteme von Antenne und Palpus getrennt werden können. Dies spricht dafür, dass die kultivierten Blasteme, wie die ursprüngliche Scheibe, Mosaike von Anlagebereichen darstellen, die sich durch Fragmentation isolieren lassen. Dasselbe zeigt sich auch im Fragmentierungsversuch, bei dem das kultivierte Gewebe in kleine Stücke aufgeteilt wird, die getrennt in Larven rücktransplantiert werden. In Tab. 8 sind die Differenzierungsleistungen von acht derartigen Teilstücken zusammengestellt. Die Leistungen der Teilstücke unterscheiden sich sehr stark und bringen den Mosaikcharakter des Blastems zum Ausdruck. Fragment 2 ist besonders interessant, da es nur Thorax liefert und keine autotypischen Elemente. Von solchen Teilstücken können Subkulturen gewonnen werden, die nur noch allotypische Elemente liefern. Eine solche rein allotypische Linie konnten wir über 11 Transfergenerationen kultivieren. Sie lieferte während 9 Transfergenerationen nur Flügel-und Beinstrukturen, nach dem 10. Transfer aber auch Strukturen der Frons.
Inventar der allotypischen Strukturelemente, die nach Dauerkultur von Antennenscheiben aufgetreten sind, eingeteilt nach den Imaginalanlagen, aus denen sie normalerweise entstehen

Differenzierungsleistungen von achi Teilstücken eines Implantates aus der 10. Transfergeneration der Kultur E6

Aus einem Blastem, das stets in Adultwirten kultiviert wurde, können also Fragmente isoliert werden, die über viele Transfergenerationen nur noch allo-typisches Material liefern. Dieser Befund beweist, dass die allotypischen Elemente tatsächlich im Adultwirt und nicht etwa erst nach der Rücktrans-plantation im larvalen Endwirt determiniert werden. Die Transdetermination kann also sowohl im Larvalwirt (Hadorn, 1963) als auch im Adultwirt erfolgen.
7. Herkunft der allotypischen Elemente
Wichtig für die Beurteilung der allotypischen Differenzierungen ist die Frage nach der Herkunft der bedeutungsfremden Zellen. Mit Hilfe der genetischen Markierung kann zunächst gezeigt werden, dass die allotypischen Elemente nicht von Wirtszellen abstammen. Nach mehr als einjähriger Kulturdauer von y Spendergewebe in e mwh Wirten (vergl. S. 79) zeigten auto-und allotypische Elemente stets den Genotyp des Spenders. Im gesamten Material aus den Dauerkulturen fand sich unter zehntausenden von Borsten eine einzige dunkel gefärbte, die möglicherweise infolge einer somatischen Mutation auftrat. Die allo-typischen Elemente werden also von der implantierten Kultur selbst gebildet.
Eine nähere Untersuchung der allotypischen Strukturen zeigt, dass sie häufig mit den autotypischen Elementen noch verwachsen sind, währendin andern Implantaten bereits eine Aussonderung stattgefunden hat. Am häufig-sten finden wir kleine Thrsw-s-Areale im 3. Antennenglied. Zwischen dem behaarten Gebiet der Antenne und dem fast unbehaarten Tarsus-Areal ist meistens eine deutliche Grenze zu erkennen. Es gibt keine oder höchstens eine sehr schmale Übergangszone, in der die Zellen nicht dem einen oder andern Organ zugeordnet werden könnten. Die Zellen müssen sich also für eine bestimmte Entwicklungsrichtung, die zu einem der alternativen Endzustände der Differenzierung führt, entscheiden. Dieses Phänomen wird nach Waddington (1956) als Kanalisierung der Entwicklung bezeichnet. Nach weiterer Proliferation beginnt sich die Tarsus-Blase vorzuwôlben und schliesslich wird wie bei der Mutante aristapedia ein vollständiger Antennenfuss ausgestülpt (Tafel 3, Fig. B). Neben dem allotypischen Tarsus kann auch noch eine Arista gebildet werden, die jedoch reduziert ist. Daraus können wir schliessen, dass in diesen Fällen der allotypische Tarsus aus praesumptiven Zellen des 3. Antennengliedes und der Arista hervorgeht.
Die allotypischen Fläelteile entspringen häufig aus der Rostralhaut (Text-fig. 11) oder sie stehen in unmittelbarem Kontakt mit dem Palpusgewebe. Es gibt aber auch Implantate, in denen sie direkt an Areale des 3. Antennengliedes grenzen. Zur Frage der Herkunft der allotypischen Flügelelemente wurden Experimente mit Scheibenfragmenten durchgeführt. Wir vergleichen dabei die Leistungen von Vorder-und Hinterhälften (Text-fig. 3) nach Proliferation im Adultwirt. Die Vorderhälfte enthält die ganze Palpusanlage und den grössten Teil des Blastems, das die Rostralhaut bildet (vergl. S. 84). Anlagebereiche der drei Antennenglieder werden dagegen beiden Scheibenfragmenten zugeteilt. Von 32 Vorderhälften bildeten 9 im Adultwirt Flügelstrukturen aus, bei den Hinterhälften nur 3 von 23. In den letzteren drei Implantaten ist jedoch der Palpus regeneriert worden. Der Flügel tritt also stets zusammen mit Palpus und Rostralhaut auf. Dies ist ein deutlicher Hinweis auf die Entstehung des allotypischen Flügels aus Palpus oder Rostralhaut. Die Möglichkeit einer Bildung von Flügelstrukturen aus Zellen des 3. Antennengliedes wurde in den bereits auf S. 87 erwähnten Versuchen mit Hinterhälften-Kombinaten, in denen ein ausserordentlich hoher Prozentsatz von allotypischen Strukturen auftrat, geprüft. Unter den 8 Kombinaten, die Flügelteile bildeten, finden sich 3 Fälle, in denen kein Palpus regeneriert wurde. Ausserdem stehen die Flügelareale in diesen Kombinaten besonders häufig in unmittelbarem Kontakt mit Zellen des 3. Antennengliedes. Die Summe dieser Beobachtungen spricht dafür, dass der allotypische Flügel nicht nur aus präsumptiven Rostralhaut-oder Palpuszellen, sondern auch aus Zellen des 3. Antennengliedes hervorgehen kann.
Auswachsen einer allotypischen Flügelblase aus der Rostralhaut. P= Palpus, R = Rostralhaut, F = Flügelblase mit Randborsten, O = ‘Occipital-spange’.
Eine Bestätigung für diese Auffassung finden wir bei der statistischen Unter-suchung der Implantate aus den Dauerkulturen E6 und E8. Wir fragen einfach, wie häufig die verschiedenen allotypischen Elemente mit den autotypischen gemeinsam im gleichen Implantat vorkommen. Die Anzahl der Implantate, in denen die beiden Elemente gemeinsam auftreten, wird bezogen auf die Gesamt-zahl der Implantate, in denen das allotypische Element auftritt. Der auf diese Weise berechnete Korrelationsindex q beträgt für das 3. Antennenglied und den Tarsus 0,77, für Palpus und Tarsus jedoch nur 0,40. Der Tarsus tritt also viel häufiger zusammen mit dem 3. Antennenglied auf als mit dem Palpus. Eine Entstehung des Tarsus aus dem 3. Antennenglied ist daher viel wahrscheinlicher. Bei der allotypischen Flügelbildung sind die Unterschiede der zwei Werte weniger deutlich. Die Korrelationsindices betragen für den Palpus 0,58 und für das 3. Antennenglied 0,52. Danach ist eine Entstehung des allotypischen Flügels sowohl aus der Palpusregion, als auch aus der Antenne möglich.
Die allotypischen Elemente können ihrerseits regionsfremde Struktur-elemente hervorbringen, die wir als allotypische Elemente 2. oder höherer Ord-nung bezeichnen. In der auf S. 98 bereits erwähnten Subkultur, die während 9 Transfergenerationen nur Flügel-und Beinstrukturen geliefert hatte, traten im folgenden Transfer zusätzlich Frontalstrukturen auf. Wir müssen daraus schliessen, dass diese Strukturen der Frons aus allotypischen Bein-oder Flügel-elementen entstanden sind. Auch Rüsselstrukturen, die erst nach längerer Kulturdauer gebildet werden, konnen als allotypische Elemente 2. Ordnung aufgefasst werden. In denjenigen Implantaten, die Rüsselstrukturen hervor-brachten, finden sich stets auch Beinelemente, die z. T. mit den Rüsselarealen in direktem Kontakt stehen. Da Beinscheiben schon nach eimnaligem Aufenthalt im Adultwirt Rüsselstrukturen bilden können (G. Schubiger, mündl. Mitt.) und in unsern Kulturen diese hohe Korrelation zwischen Rüssel-und Beinelementen besteht, ist eine Entstehung des Rüssels aus Beinanlagen sehr wahrscheinlich.
Die verschiedenen allotypischen Elemente gehen also aus bestimmten Organanlagen hervor. Der Tarsus z. B. entsteht in vielen F ällen aus prä-sumptiven Zellen des 3. Antennengliedes und der Arista. Wir bezeichnen diese Beziehung als eine Sequenz. Dies schliesst jedoch die Bildung von Tarsal-strukturen aus andern autotypischen Zellen nicht aus; andere Sequenzen könnten jedoch für den Tarsus bis jetzt nicht nachgewiesen werden.
Es fragt sich nun, ob diejenigen Zellen, welche die allotypischen Elemente liefern, im ursprünglichen Blastem determiniert sind, oder ob es sich um un-determinierte Reservezellen handelt. Im letzteren Falle müsste man annehmen, dass die Reservezellen durch Interaktionen mit den Zellen ihrer Umgebung den neuen Determinationszustand erlangen, da ja die Zellen der verschiedenen Organanlagen verschiedene allotypische Elemente liefern. Das Problem des Determinationszustandes der Einzelzelle in Imaginalscheiben ist von Nöthiger (1964) eingehend untersucht worden. Durch Dissoziation und Mischung von Zellen aus Scheiben verschiedener Segmente, die genetisch markiert waren, konnte er zeigen, dass Gruppen von wenigen Zellen oder Einzelzellen sich in einer fremden Umgebung autonom und herkunftsgemäss differenzieren. In keinem Fall übernehmen solche Einzelzellen die Determinationsqualitat der Umgebung. Wir wiederholten diese Versuche, mit der Antennenscheibe, indem wir Kombinate mit Flügelscheiben herstellten (S. 79). Falls die allotypischen Flügelelemente aus undeterminierten Zellen entstehen, so kann man erwarten, dass solche Zellen im Kontakt von Flügelzellen ebenfalls Flügelstrukturen liefern. Dies ist jedoch nicht der Fall:
In einer Mischung von e mwh Antennenscheiben und y Flügelscheiben traten nach Implantation in 80 h alte Lar ven keine e mwh Flügelstrukturen auf. In zwei von insgesamt 30 Kombinaten fanden wir Mosaikbildungen zwischen Flügel-und Antennenteilen. Im ersten Fall ist ein kleines Flügelareal, das die Zahnborsten der Dreierreihe trägt, mit einem 3. Antennenglied verwachsen, und im zweiten Fall ist ein Areal des 3. Antennengliedes in eine Flügelspreite eingefügt worden. In beiden Fällen differenzieren sich die Zellen autonom und herkunftsgemäss. Solche Assoziationen heterotypischer (ungleichartiger) Zellen sind selten und sprechen für einen innigen Durchmischungsgrad in den Kombinaten. Normalerweise findet eine Aussonderung der heterotypischen Zellen statt (Nöthiger, 1964). Undeterminierte Reservezellen konnten also nicht nachgewiesen werden. Wir müssen daher annehmen, dass die allotypischen Zellen durch Transdetermination aus determinierten Zellen bestimmter Organan-lagen hervorgehen.
8. Bedingungen der Transdetermination
Wie wir in der Einleitung erwähnt haben, kann das Auftreten von allo-typischen Elementen genetisch bedingt sein. Die Mutante aristapedia (ssa) beispielsweise f ührt zur Umwandlung von Antennen-in Beingewebe. Es sind jedoch nur relativ wenige solche homoiotischen Mutationen gefunden worden. Für viele Umwandlungen, die durch Transdetermination in unseren Kulturen von Wildtypgewebe erfolgen, ist keine entsprechende Mutation bekannt.
In einer Dauerkultur von aristapedia-Scheiben des voll penetranten Allels ssa untersuchten wir, ob auch andere allotypische Strukturen ausser dem Tarsus häufiger auftreten als in Wildtyp-Kulturen. Es zeigten sich jedoch keine deut-lichen Unterschiede zu den Kulturen E6 und E8. Hingegen traten in der aristapedia -Dauerkultur neben den Antennenfüssen auch Aristen auf. Dies zeigt, dass die ssa-Zellen die genetische Information für die Bildung einer Arista besitzen, obschon diese Potenzen normalerweise nicht realisiert werden.
Die autonome Differenzierung von Einzelzellen oder kleinsten Zellgruppen zeigt sich bei den aristapedia-Antcnnen besonders deutlich. Wir finden namlich häufig auf dem 3. Antennenglied einzelne vôllig isolierte Tarsalborsten, die wir an ihrer Nebenschuppe erkennen können (Tafel 2, Fig. C). Das Antennen-gewebe vermag also diese vereinzelten Tarsalzellen nicht unter seinen Einfluss zu bringen. Die Differenzierung der Tarsalzellen erfolgt autonom. Die gleiche Beobachtung wurde von Roberts (1964) an Fliegen gemacht, die Mosaike von ssa und ss+ Gewebe darstellen.
Die Bildung von Antennenfüssen in Wildstämmen kann auch durch Behand-lung mit verschiedenen Chemikalien ausgelôst werden. Solche Phànokopien wurden mit Senfgas (Bodenstein & Abdel-Malek, 1949), Natriummetaborat (Sang & McDonald, 1954) und 5-Fluoro-uracil (Gehring, 1964) erzielt. Die Phanokopie-Rate erreicht jedoch nie 100 % und zeigt starke stammspezifische Unterschiede. Es ist deshalb anzunehmen, dass die Phänokopierbarkeit weit-gehend vom Genotypus abhängt. Dies geht auch daraus hervor, dass die Phänokopie-Rate durch Selektion stark verändert werden kann, wie dies für verschiedene Mutanten gezeigt worden ist (vergl. Waddington, 1962). Nach fortgesetzter Selektion braucht im Extremfall das phänokopierende Agens nicht mehr appliziert zu werden, und das ver ä nderte Merkmal tritt dennoch auf.
Die Bildung allotypischer Elemente in unsern Dauerkulturen scheint weit-gehend unabhängig vom einzelnen Genotypus zu erfolgen. In allen bisher unter-suchten Dauerkulturen mit Spenderscheiben von Stämmen verschiedener Herkunft sind allotypische Strukturen aufgetreten. Prinzipiell sind Scheiben der verschiedensten Genotypen unter günstigen Kulturbedingungen zur Trans-determination befähigt.
Damit stellt sich das Problem, welche Faktoren in den Kulturen die Trans-determination bedingen. Von den allotypischen Elementen, die nach einmaligem Aufenthalt im Adultwirt aufgetreten sind, finden sich 79 % in Implantaten, die stark gewachsen sind und autotypische Doppelbildungen zeigen. Ausserdem sind Transdeterminationen am häufigsten in Scheibenkombinaten (S. 100), die ein starkes Regenerationswachstum aufweisen. Es besteht also eine hohe Korrelation zwischen der Proliferationsleistung und der Bildung allotypischer Elemente.
Wir versuchten daher durch Ånderung der Kulturbedingungen das Wachs-tum zu beeinflussen, um einen m ö glichen Kausalzusammenhang nachzuweisen. In einem ersten Experiment wurde die eine Scheibe aus einer Spenderlarve in einen männlichen, die andere in einen weiblichen Adultwirt implantiert. Im mannlichen Adultwirt proliferieren die Scheiben nur sehr wenig: die Implantate aus den Kontroll-Weibchen sind im Durchschnitt mindestens doppelt so gross (vergl. Hadorn & Garcia-Bellido, 1964). Dieser Unterschied verschwindet jedoch nach der Rücktransplantation in den Larvalwirt. Die Zahl der auto-typischen Doppelbildungen ist namlich in beiden Serien ungefähr gleich gross. Auch in der Häufigkeit der allotypischen Strukturen ist kein deutlicher Unter-schied festzustellen. Sechs allotypischen Differenzierungen in 15 männlichen stehen 7 in 14 weiblichen Adultwirten gegenüber. Die Transdetermination erfolgt also auch nach Aufenthalt im männlichen Adultwirt, der nur eine geringe Proliferation ermoglicht; wahrscheinlich findet die Transdetermination jedoch erst nach der Rücktransplantation im Larvalwirt statt.
Als nächstes wurde der Einfluss der Temperatur auf Wachstum und Trans-determination untersucht. Die beiden Scheiben einer Spenderlarve wurden in verschiedene Adultwirte implantiert, von denen der eine auf 10 °C, der andere als Kontrolle auf 25° gehalten wurde. Nach 14 Tagen wurden beide Serien in 72 h alte Larvalwirte rücktransplantiert, anschliessend konnten sie bei 25° metamorphosieren. Auf 10 ° proliferieren die Scheiben sehr langsam und bleiben daher viel kleiner als die Kontrollscheiben. Im Gegensatz zu den Kontrollen lieferten die 41 in der Kälte kultivierten Scheiben keine allotypischen Elemente. Bei niedriger Temperatur werden also Wachstum und Zahl der Transdeter-minationen herabgesetzt.
Ein Zusammenhang zwischen Wachstum und Transdetermination ist nach diesen Befunden wahrscheinlich, doch kann noch nicht entschieden werden, ob Zellteilungen stets eine notwendige Voraussetzung für den Transdetermina-tionsprozess darstellen.
Eine weitere Frage betrifft die Zahl der Zellen, in denen die Transdetermination stattfindet. Als kleinste allotypische Areale finden wir einzelne Tarsalborsten, also wenige Einzelzellen, in 3. Antennengliedern. Eine Transdetermination ist demnach in Gruppen von wenigen Zellen und wahrscheinlich auch in Einzel-zellen mbglich. Die Grösse des gebildeten allotypischen Areals hängt natürlich stark vom Wachstum ab. Allotypische Flügelstrukturen proliferieren meist sehr stark und k ö nnen mehr Zellen umfassen ais alie autotypischen Elemente zusammen. Die Frage, ob in diesen Fällen ganze Zellgruppen gleichzeitig trans-determiniert worden sind, muss noch offen bleiben.
9. Wirkung von Inhibitoren der RNS-und DNS-Synthese auf Wachstum und Differenzierung der Antennenscheibe
Durch die Anwendung von spezifischen Inhibitoren versuchten wir weitere Einblicke in die Differenzierungsvorgänge zu erhalten. Actinomycin D hemmt die Synthèse der RNS an der DNS-Matrize, indem es mit der DNS einen Komplex bildet und damit den Transcriptionsvorgang blockiert (vergl. Hurwitz, Furth, Malamy & Alexander, 1962; Reich, Franklin, Shatkin & Tatum, 1962). Wir untersuchten die Wirkung von Actinomycin D1 auf die Antennenscheibe durch Behandlung in vitro. Die Scheiben wurden explantiert, während einer Stunde mit Actinomycin in Ringer-Lösung behandelt und anschliessend in verpuppungsreife Larven implantiert, in welchen den Scheiben kaum mehr Zeit bleibt zu regenerieren. Das Scheibenblastem erwies sich als äusserst empfindlich. 6 μg Actinomycin D pro ml Ringerlbsung blockierten die Differenzierung vollständig und fuhrten zum Absterben der Zellen, so dass wir im Abdomen des Wirtes nach der Metamorphose nur noch schwarze Restkbrper vorfanden. Bei 0,6 und 0,4 μg Actinomycin pro ml manifestiert sich ein organ-spezifisches Schadigungsmuster. Am stärksten ist der Palpus betroffen. Er fehlt in alien 25 Implantaten. Das 2. Antennenglied ist ebenfalls stark reduziert und findet sich nur in 7 Implantaten. Die Borstenbildung ist fast vollständig unterdrückt. Am wenigsten ist das 3. Glied geschädigt. Es tritt in 20 Implantaten auf und bildet in 7 Fällen auch eine Arista, die allerdings deformiert ist.
Eine ähnliche Wirkung wie Actinomycin hat auch 5-Fluoro-uracil (FU) auf die Antennenscheiben. FU hemmt die DNS-Synthese, indem es die Thymidylatsynthetase blockiert (vergl. Heidelberger, 1963). Dies fiihrt zu einer Wachstumshemmung. In Vorversuchen wurde die Wirkung von FU nach Injektion anhand der Fertilität der Weibchen gepriift. Ca. 1 μI einer isotonischen L ö sung von 5 mg FU1 pro ml wurde in 6 d alte Weibchen injiziert und die Zahl der Nachkommen bestimmt. Ais Kontrolle dienten Fliegen, denen nur Ringerlösung injiziert worden war. In den ersten zwei Tagen nach der Injektion produzieren die FU-behandelten Weibchen keine Nachkommen. Sie legen zwar ebensoviele Eier wie die Kontrollweibchen, die Eier entwickeln sich jedoch nicht. Am 4. Tag steigt die Fertilität auf 50 % derjenigen der Kontrollen an, und am 6. Tag ist die Hemmung vollständig aufgehoben. Nach erneuter Injektion wird die Fertilität wiederum erniedrigt. Daraus ergibt sich, dass die Injektion nur während etwa 2 Tagen maximal wirksam ist und die Substanz allmählich aus der Hämolymphe verschwindet.
Nach diesen Vorversuchen prüften wir die Wirkung von FU auf die Anten-nenscheiben durch Behandlung in vivo. Die Scheiben wurden in Adultwirte implantiert und am 0., 3. und 5. Tag je ca. 1 μI FU-L ö sung (5 mg/ml) injiziert. Am 7. Tag erfolgte die Rücktransplantation in junge Larvalwirte (72 h). Die FU-behandelten Implantate zeigten im Gegensatz zu den Kontrollen keine Volumenzunahme im Adultwirt. Infolge der mehrfachen Injektionen erhbhte sich die Mortalität, so dass nur 10 behandelte und 14 Kontrollimplantate für die Auswertung zur Verfügung stehen. Trotz der kleinen Zahl der Faile ergibt sich ein klarer Unterschied zwischen den beiden Serien. Antennendoppel-bildungen sind in beiden Serien etwa gleich häufig; Palpusverdopplungen treten jedoch nur in der Kontrollserie auf, namlich in 10 von 14 Implantaten. Die FU-behandelten Scheiben zeigen keine Palpus-Doppelbildungen, und in der Hälfte der F ä ile fehlt der Palpus vollständig. Wir stellen also eine spezifische Wachstumshemmung der Palpusanlage fest. Das Wachstum, das zu den Antennenverdopplungen in den behandelten Implantaten führt, erfolgt wahr-scheinlich im Larvalwirt.
Sowohl bei Actinomycin-als auch bei FU-Behandlung wird also die Ent-wicklung der Palpusanlage, die in den Kontrollen das stärkste Wachstum auf-weist, am meisten gehemmt. Dies kann darauf beruhen, dass proliferierende Zellen durch die beiden Inhibitoren starker gehemmt werden als ‘ruhende’ Zellen. Das organspezifische Wirkungsmuster k ö nnte jedoch auch durch eine unterschiedliche Permeabilit ä t oder Empfindlichkeit der Zellen bedingt sein. Eine direkte Wirkung auf die allotypischen Differenzierungen liess sich nicht nachweisen.
IV. DISKUSSION
Die Antennenscheibe der verpuppungsreifen Larve, die als Ausgangsmaterial für unsere Kulturen dient, ist ein mosaikartig determiniertes Blastem, wie dies schon für die besonders eingehend untersuchte Genitalscheibe gezeigt worden ist (Hadorn et al. 1949; Ursprung, 1959). An der Antennen-und Flügelscheibe konnten wir nachweisen, dass die Organanlagen innerhalb der Scheibe begrenzte Areale umfassen. Auch innerhalb dieser Organanlagen lassen sich bestimmte Strukturelemente, wie die Reihe der ‘Zahnborsten’ auf dem 2. Antennenglied oder der Sacculus im 3. Glied, lokalisieren. Nach Untersuchungen von N ö thiger (1964) differenzieren sich isolierte Zellen, die nach Dissoziation und Mischung mit andern Imaginalscheiben in eine fremde Organanlage gelangen, autonom und herkunftsgemass. Daraus ist zu schliessen, dass diese Einzelzellen deter-miniert sind. Nicht die Organanlage als Ganzes, sondern die einzelnen Zellen sind also Tr äger einer bestimmten Determinationsqualität. Da mindestens ein Teil dieser Zellen jedoch in der jungen Puppe weitere Teilungen durchläuft (Lees & Waddington, 1942), kann noch nicht jeder larvalen Zelle eine imaginale Zelle zugeordnet sein.
Im Proliferationsversuch reproduzieren Scheibenfragmente diejenigen Struk-turelemente, die sie enthalten. Dabei können Doppelbildungen auftreten. Sie entstehen durch Auswachsen der ursprünglichen Organanlage und symmetrische Gliederung in zwei Organe. Die Borstenzahl bzw. Grösse eines Organs wird durch den Aufgliederungsprozess reguliert. Wir bezeichnen diesen Vorgang als homonome Arealisation. Bei der unpaarigen Genitalscheibe ist nach Ur-sprung (1959) ein anderer Regulationsmechanismus wahrscheinlicher. Sagit-talhàlften der Genitalscheibe bilden einen halben Genitalapparat, der alie paarigen Strukturen in einfacher Ausführung enthält. Nach Proliferation im jüngeren Larvalwirt liefern sie jedoch einen ganzen Genitalapparat mit paarigen Strukturelementen. Nach Ursprung bildet sich dabei am Schnittrand ein Regenerationsblastem, in dem die regenerierten Organanlagen sukzessiv auf ihre NormalGrösse heranwachsen. Die Mustergliederung in den regenerierten Struk-turelementen ist von Lü ö nd (1961) bei Drosophila Séguyi genau untersucht worden. Es scheint also ein Unterschied zwischen der unpaaren Genital-und der paarigen Antennenscheibe zu bestehen. Es handelt sich aber in beiden Fällen nicht um einen echten Regulationsprozess, der durch Umbildung des zur Verfügung stehenden Materials zu einem harmonisch verkleinerten Ganzen führen würde. Wie aus unsern Befunden an der Antennenscheibe hervorgeht, werden im allgemeinen nur diejenigen Strukturelemente reproduziert, deren Anlagen im Fragment enthalten sind. Aus einer Palpusanlage z. B. entstehen zwei symmetrisch angeordnete Anlagen, wobei die Determinationsqualität Palpus im Laufe des Wachstums auf die Tochterzellen übertragen wird. Wir bezeichnen diese Ü bertragung der Determinationsqualität auf die Tochter-zellen als Zellvererbung.
Die Kontinuität der Zellvererbung kann jedoch durchbrochen werden, wie das Auftreten von regenerativen Neubildungen und allotypischen Elementen (vergl. S. 91) zeigt. Dabei tritt eine Ånderung der Determinationsqualität, eine Transdetermination (Hadorn, 1965b), ein. Die Transdetermination erfolgt nicht zufällig, sondern es bestehen qualitative und quantitative Gesetzmässig-keiten. Die allotypischen Elemente entstehen nämlich mit einer bestimmten Häufigkeit aus bestimmten Organanlagen. Flügelstrukturen z. B. gehen aus präsumptiven Zellen der Palpusregion oder des 3. Antennengliedes hervor, wahrend der Tarsus von Zellen der Arista-Anlage und des 3. Gliedes gebildet wird. Aus diesen allotypischen Strukturen können dann wiederum allotypische Elemente hôherer Ordnung entstehen.
In einem solchen System von Sequenzen erscheint die Annahme von undeter-minierten Reservezellen, aus denen die allotypischen Elemente hervorgehen würden, sehr unwahrscheinlich. Man müsste entweder verschiedenartige undeterminierte Zellen in den verschiedenen Organanlagen oder Interaktionen zwischen den undeterminierten Reservezellen und den determinierten Zellen ihrer Umgebung postulieren. In allen bisher untersuchten Fällen differenzierten sich jedoch einzelne Zellen in fremder Umgebung autonom und herkunftsgemäss. Es konnten also weder undeterminierte Zellen noch Interaktionen zwischen den Zellen nachgewiesen werden, die zu einer Ü nderung des Determinations-zustandes im Sinne einer Induktion geführt hätten.
Aus diesen Gründen müssen wir annehmen, dass die allotypischen Elemente aus determinierten Zellen durch Ånderung ihrer Determinationsqualität hervorgehen. Auch autotypische Elemente können durch Transdetermination entstehen, wie wir erstmals am Beispiel des 3. Antennengliedes, das vom Palpus gebildet wird, zeigen konnten.
Über die Ursachen, die zur Transdetermination führen, ist noch wenig bekannt. Die hohe Korrelation zwischen der Proliferationsleistung und der Bildung allotypischer Elemente deutet darauf hin, dass der Transdeterminations-prozess Zellteilungen voraussetzt. Die Transdetermination ware dann die Folge eines ‘Repiikationsfehlers der Determinationsqualität’. Doch kann die Frage, ob auch ‘ruhende’ Zellen ihre Determinationsqualität ändern können, noch nicht entschieden werden. Das Problem wird von Hadorn (1966) einge-hend diskutiert.
Wie die Beobachtungen an homoiotischen Mutanten zeigen, kann die Trans-determination auch genetisch bedingt sein. Für das Allel ssa-F von aristapedia konnte Vogt (1946b) nachweisen, dass die temperatursensible Période für die Umwandlung von Antennen-in Beingewebe ins letzte Larvenstadium fällt. Sie bezeichnete daher den Determinationszustand der Imaginalscheiben ais l ä bil. Eine Stabilisierung der Determination gegen Ende des letzten Larvenstadiums, wie sie Vogt (1946a) auch für Scheiben des Wildtyps angenommen hat, lässt sich allerdings nicht nachweisen. Das fehlende ‘Regulationsvermôgen’ dieser Scheiben ist lediglich durch den Umstand bedingt, dass dem Implantat im verpuppungsreifen Wirt keine Zeit mehr zum Regenerationswachstum zur Verfügung steht.
Einen Einfluss des Wachstums auf die Determination konnte Vogt (1947) ebenfalls bei aristapedia (ssa) nachweisen. Im Vergleich zum Wildtyp zeigen ssa Antennenscheiben ein verstärktes Wachstum der Aristenanlage. Aus der vergrösserten Anlage entsteht ein Fuss anstelle der Arista. Durch Colchizin-behandlung kann das Wachstum der Anlage gehemmt und damit die Differen-zierung in Richtung Arista verschoben werden. Das Wachstum scheint also einen Einfluss auf die Differenzierungsrichtung zu haben.
Die Transdeterminationen sind umkehrbare Prozesse’. Die Antennenscheibe bildet z. B. aile Beinteile (S. 95) und die Beinscheibe kann ihrerseits Antennen-teile liefern (G. Schubiger, mündl. Mitt.). Wir können daraus schliessen, dass die Determination der Imaginalscheibenzellen nicht auf irreversiblen Verande-rungen des genetischen Materials beruht. Dieser Befund deckt sich mit den Experimenten von Stewart, Mapes, Kent & Holsten (1964), die bei hôheren Pflanzen gezeigt haben, dass differenzierte Einzelzellen in einem günstigen Kultur-medium eine vollständige Pflanze regenerieren können. Diese differenzierte Zelle ist somit totipotent geblieben und zeigt keine irreversiblen Veränderungen ihres genetischen Materials. Auch die Ergebnisse der Kerntransplantationen bei Amphibien (Briggs & King, 1952; vergl. Gurdon, 1963) lassen sich in diesem Sinne deuten. Gurdon konnte bei Xenopus zeigen, dass Kerne aus differenzierten Darmzellen von Kaulquappen nach Transplantation in entkernte Eier normale Larven bilden können. Auch diese Kerne, die aus differenzierten Zellen stammen, sind folglich noch totipotent. Determination und Differenzierung sind also nicht unbedingt an irreversible Veränderungen des genetischen Materials geknüpft.
Aus der Umkehrbarkeit des Transdeterminationsvorgangs ergibt sich ausserdem, dass die Transdetermination nicht einfach ein Absinken im ‘morphogenetischen Potential’ darstellt, das beispielsweise durch Verdünnung einer Zellkomponente im Verlaufe des Wachstums bedingt wäre. Wir neigen zu einer Hypothese, wonach die Transdetermination das Ergebnis der Aktivierung oder Inaktivierung weniger Kontrollgene ist, die ihrerseits ganze Gengruppen steuern, welche für die Ausbildung eines Organs notwendig sind. Mit einer solchen Hypothese lässt sich auch das Phänomen der Kanalisierung (S. 99), die in unsern Kulturen besonders ausgeprägt ist, deuten.
V. ZUSAMMENFASSUNG
Die Antennenscheibe einer verpuppungsreifen Larve ist ein mosaikartig determiniertes Blastem, das aus Organanlagen zusammengesetzt ist, die be-grenzte Areale umfassen. Auch innerhalb dieser Organanlagen lassen sich bestimmte Strukturelemente lokalisieren.
Scheiben oder Scheibenfragmente proliferieren in jungen Larval-oder Adultwirten und reproduzieren dabei diejenigen Elemente, deren Anlagen sie enthalten. Die Determinationsqualität wird also auf die regenerierten Zellen übertragen (Zellvererbung). In einem Teil der Implantate treten jedoch re-generative Neubildungen auf.
Nach Proliferation entstehen Doppelbildungen, da sich die vergrösserten Organanlagen gliedern und keine überdimensionierten Organe bilden (homonome Arealisation).
Nach Aufenthalt im Adultwirt werden von Antennenscheiben auch Strukturelemente regionsfremder Imaginalanlagen gebildet. Solche Differenzierungen, die der prospektiven Bedeutung der Antennenscheibe nicht entsprechen, werden als allotypisch bezeichnet (Hadorn, 1965a) und den bedeutungseigenen (autotypischen) Differenzierungen gegenübergestellt.
In Dauerkulturen von Antennenscheibenmaterial im Abdomen adulter Weibchen traten als allotypische Differenzierungen Elemente der Flügel-, Bein-, Augen-, Labial-und Genitalscheibe auf.
Die allotypischen Elemente entstehen in bestimmten Sequenzen aus autotypischen Organanlagen. Zum Beispiel wird der Tarsus von präsumptiven Zellen des 3. Antennengliedes und der Arista gebildet. Aus allotypischen Organanlagen können wiederum allotypische Elemente höherer Ordnung hervorgehen.
Die allotypischen Differenzierungen entstehen aus determinierten auto-typischen Zellen durch eine Ånderung der Determinationsqualität, d. h. durch Transdetermination (Hadorn, 1965a).
Auch autotypische Elemente können durch Transdetermination aus andern Organanlagen des ursprünglichen Blastems hervorgehen (regions-spezifische Transdetermination).
Der Transdeterminationsprozess kann sowohl im Adult-als auch im Larvalwirt erfolgen. Wahrscheinlich setzt dieser Vorgang Zellteilungen voraus. Die kleinsten allotypischen Areale können Gruppen von wenigen Zellen oder Einzelzellen umfassen.
Die Umwandlung von Antennen-zu Beingewebe kann in beiden Rich-tungen erfolgen; die Transdetermination ist also ein umkehrbarer Prozess.
Nach Behandlung der Antennenscheibe mit Inhibitoren der RNS-und DNS-Synthese zeigt sich ein organspezifisches Schädigungsmuster. Am stärk-sten ist das Wachstum der Palpusanlage gehemmt.
In der Diskussion wird das Determinationsproblem erôrtert.
ACKNOWLEDGEMENTS
Meinem verehrten Lehrer, Herm Prof. Dr. E. Hadorn, möchte ich für die Leitung und Förderung dieser Arbeit sehr herzlich danken. Den Herren Prof. Dr. P. Tardent und Dr. R. Nöthiger bin ich für die kritische Durchsicht des Manuskriptes zu Dank verpflichtet.
LITERATUR
Wir unterscheiden zwischen Trichomen (Härchen), die einfache Auswüchse der Epidermis darstellen, und Bors/enorganen, die aus Sockel, Borste, Nerven-und Scheidezelle bestehen (vergl. Tafel 1, Fig. B).
Die Augenscheibenelemente sind nicht allotypisch im strengen Sinne, werden aber dennoch hier aufgeführt
Die Substanz wurde uns freundlicherweise von Dr. E. Bell (Massachusetts Institute of Technology) geschenkt.
Wir verwendeten das Natrium-Salz von Hoffmann-La Roche.